Vesper am 11.1.2006

in der Augustinerkirche Würzburg

(mit einer Homilie zum Psalm 126 (125), einem ‹cantica graduum – Gradualpsalm› nach der Auslegung des hl. Augustinus)

Cornelius Petrus Mayer OSA

01. Lied: GL 557, 1-5

02. Psalm 121: GL 752

03. Psalm 126: GL 753

04. Canticum: GL 686

05. Lesung: Kol. 3,15-17

06. Antwortgesang: GL 687

07. Homilie

08. Lobgesang Mariens: GL 688f.

09. Fürbitten

10. Segen

11. Marienlied: GL 572

 

Lesung aus dem Kolosserbrief 3,15-17

15. In eurem Herzen herrsche der Friede Christi: dazu seid ihr berufen als Glieder des einen Leibes.

16. Das Wort Christi wohne mit seinem ganzen Reichtum bei euch! Belehrt und ermahnt einander in aller Weisheit. Singt Gott in eurem Herzen Psalmen, Hymnen und Lieder, wie sie der Geist eingibt, denn ihr seid in Gottes Gnade.

17. Alles, was ihr in Worten und Werken tut, geschehe im Namen Jesu, des Herrn; durch ihn dankt Gott, dem Vater!

Homilie

Die beiden Psalmen, die wir soeben gesungen haben, gehören zu den sogenannten Stufenliedern des Psalters. Es gibt mehrere Erklärungen für diese seltsame Benennung. Die schönste und im Hinblick auf die neutestamentliche Verkündigung zutreffendste dürfte die des hl. Augustinus sein. (Kommentar zum Psalm 125)

Der Gesang dieser Psalmen, so Augustinus, sei die Stimme der im Herzen Aufsteigenden. Der wohin Aufsteigenden, fragt er. Und er antwortet: zu jenem himmlischen Jerusalem, das ‹die Stadt Gottes›, das der Himmel ist.

Mit dieser Erklärung ist Augustinus bei einem seiner Lieblingsthemen: der ‹ciuitas dei›, der ‹Stadt Gottes›, aber auch der Unterscheidung zwischen der ‹Stadt Gottes› hier auf Erden und jener, zu der wir als Pilger noch unterwegs sind.

In dieser Perspektive des Hier und des Dort haben Christen ihren Weg zu gehen, und zwar deshalb, weil Christus selbst uns diesen Weg gewiesen hat. Er kam als der Erlöser, so fährt Augustinus weiter. Als Erlöser wovon? Die Antwort lautet: Von der Knechtschaft der Sünde, die uns Menschen in Fesseln hält.

Sünde meint nach Augustinus, dem exzellenten Kenner der Schriften des Apostels Paulus, primär nicht das Übertreten von Geboten – das sind bereits der Sünde Folgen. Sünde meint primär den Status quo, den Zustand des unerlösten Menschen. Der Erlöste freilich befindet sich bereits auf den Stufen des aufwärts weisenden Weges.

Dies ist der Auslegungsrahmen der Psalmen mit dem Namen ‹Stufengesang›. Betrachten wir daraufhin in aller Kürze unseren Psalm 126.

Als der Herr das Los der Gefangenschaft Zions wendete, da waren wir alle wie Träumende. Wer ist ‹Zion›, wenn nicht die pilgernde Kirche? Und was ist unter dem ‹Los der Gefangenschaft› zu verstehen, wenn nicht des Menschen unerlöster Zustand?

Weil aber Christus uns durch sein Kreuz und seine Auferstehung bereits erlöst hat, deshalb ist ‹unser Mund› jetzt schon ‹voll Lachen› und ‹unsere Zunge voll Jubel›.

Gibt es Größeres im Leben eines Menschen, als dass ihm dank des Erlösungswerkes Christi das Leben bei Gott geschenkt wird? Davon ist das Herz der Erlösten voll, und davon fließt ihr Mund über, indem sie singen: Ja, Großes hat der Herr an uns getan. Da waren wir fröhlich.

Unser Psalm hat nach diesem Vers eine Zäsur. Der Beter bzw. der Sänger hält inne; denn er blickt auf seine immer noch anhaltende Pilgerschaft. Wie poetisch bringt der Psalm dies mit dem Vers 5 zum Ausdruck! Wende doch, Herr, unser Geschick, wie du versiegte Bäche wieder füllst im Südland!

Dann jedoch schöpft er in seinem Glauben an Gott Zuversicht, und er beendet seinen Psalm mit Metaphern, die zur sprichwörtlichen Redensart bedrängter Menschen geworden sind. Eine solche, im Glauben gründende Zuversicht vermag alle Hindernisse und Nöte unserer irdischen Pilgerschaft vergessen zu machen.

Der Psalm endet mit einer unübertroffenen Poesie der Hoffnung: Die mit Tränen säen, werden mit Jubel ernten. Sie gehen hin unter Tränen und tragen den Samen zur Aussaat. Sie kommen wieder mit Jubel und bringen ihre Garben ein.

Welche Garben? Die Garben der Gnade Christi, von der wir im Lied zur Eröffnung der Vesper gesungen haben: Von dir der Gnaden Glanz ausgeht. Denn er, Christus, ist das Licht der Welt, das jedem klar vor Augen stellt den hellen, schönen, lichten Tag, an dem er selig werden mag.

Und dann ist in diesem Christus-Hymnus der Böhmischen Brüder aus dem 16. Jahrhundert im 4. Vers auch noch von der ‹Stadt Gottes› die Rede, über die zu meditieren der hl. Augustinus nicht müde wurde: Zuletzt hilf uns zur heiligen Stadt, die weder Nacht noch Tage hat, da du, Gott, strahlst voll Herrlichkeit, du schönstes Licht in Ewigkeit. Amen.

Fürbitten

Lasst uns beten zu Christus, der Freude aller, die sein Kommen erwarten.

– Herr, erweise uns deine Huld.

1. Du bist das Licht der Welt; du kamst in unsere Welt, um uns der Macht der Finsternis zu entreißen.

2. Du wirst einst wiederkommen; gib, dass wir dich in Freude erwarten.

3. Du willst alle Menschen in deinem Reich, der Stadt Gottes, vereinen; lass unsere Verstorbenen dein Angesicht schauen.

Vater unser, ...

Biete auf deine Macht, Herr, und komm. Entreiße uns der Macht der Sünde; mach uns frei, rette uns und führe uns zum ewigen Leben. Der du mit Gott dem Vater in der Einheit des Hl. Geistes lebst und herrschst in Ewigkeit.