OSTERMONTAG 28.3.2005

AUGUSTINERKIRCHE WÜRZBURG

Cornelius Petrus Mayer OSA

Vorspann

Ich begrüße Sie sehr herzlich zu dieser Eucharistiefeier am Ostermontag, bei der ich als Zelebrant zugleich meiner Priesterweihe vor 50 Jahren gedenke. Ich werde darauf am Ende des Gottesdienstes zurückkommen.

In den Evangelien gibt es Texte, die auf unsere christlich-abendländische Gesellschaft über die Kultur hinaus selbst folkloristisch einwirkten. Zu ihnen gehört die jeweils am Ostermontag verkündete Perikope über den Gang zweier Jünger Jesu nach Emmaus.

«Sie erreichten das Dorf, zu dem sie unterwegs waren», so erzählt der Evangelist. «Jesus tat, als wolle er weitergehen, aber sie drängten ihn und sagten: Bleib doch bei uns; denn es wird bald Abend, der Tag hat sich schon geneigt».

Wer denkt beim Hören dieser Sätze außer an den üblichen Osterspaziergang nicht auch an den Kanon zu drei Stimmen: «Herr bleibe bei uns, ...» ? Und welcher an Alter bereits Fortgeschrittene denkt dabei nicht an jenen Abend, den das Leben herbeiführt?

«Da ging» Jesus, so fährt die Emmauserzählung vielsagend weiter «mit hinein, um bei ihnen zu bleiben». Und wieder dürfen wir dieses ‹Bleiben› umfassender verstehen als jene Zwei; denn Jesus bleibt deshalb bei uns, weil er als der Gekreuzigte zugleich auch der Verherrlichte ist.

An ihn wenden wir uns im Kyrie.

 

Predigt

Wenn Sie sowohl die Lesung wie auch das Evangelium aufmerksam verfolgt haben, kann Ihnen der Unterschied bezüglich der literarischen Gattung beider Texte nicht entgangen sein.

Haben Sie bitte keine Angst, ich will meine Predigt nicht in eine akademische Vorlesung umfunktionieren, aber ich denke, es ist für das Verstehen unseres Glaubens hilfreich zu wissen, dass es im Neuen Testament zwei Arten der österlichen Verkündigung gibt: Bekenntnisformeln und Erzählungen.

Bekenntnisformeln sind in der Regel kurze Texte, die den Inhalt des Glaubens präzise wiedergeben. Eine solche haben wir in unserer Lesung vernommen: Sie lautete: «Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift, und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift». Dieses Bekenntnis, so schärft der Apostel Paulus in seinem Brief an die Korinther allen Christen ein, ist das Fundament des Glaubens der Kirche.

Daneben gibt es im Neuen Testament die Ostererzählungen: Ihnen kommt die Aufgabe zu, den Glauben der Kirche an ihren auferstandenen und verherrlichten Herrn zu veranschaulichen.

Die literarisch wie kompositorisch schönste Ostererzählung, die soeben vernommene Perikope, stammt aus der Feder des Evangelisten Lukas. Schriftstellerisch überragt er die anderen drei. In seinem Evangelium finden wir auch von gleicher inhaltlicher Dichte und sprachlichem Glanz das Gleichnis vom barmherzigen Samariter und die Parabel vom verlorenen Sohn, die einige Ausleger des Neuen Testamentes schlicht für das Evangelium in den Evangelien halten.

Wenden wir uns nun unserer Ostererzählung zu. Ist sie nicht eindrucks- und reizvoll? Es macht Freude, sie zu lesen, sie zu erzählen. Es geht darin nicht um detaillierte historische Daten, um nähere Informationen über die Zwei. Der Erzähler verfolgt andere Ziele; er hat bereits die nachösterlichen Gemeinden – somit auch uns – im Visier.

Also, der Reihe nach: Zwei Jünger Jesu verlassen Jerusalem. Sie kehren aus Enttäuschung diesem Ort den Rücken, denn Jesus, «ein Prophet, mächtig in Wort und Tat vor Gott und dem ganzen Volk», an den sie offensichtlich gesellschaftspolitisch motivierte irdische Messiaserwartungen geknüpft hatten, scheiterte. Die Machthaber «haben ihn ... ans Kreuz schlagen lassen». Zwar ging da die Rede von seinem leeren Grab und im Zusammenhang damit die Kunde, dass er lebe, aber gesehen habe man ihn nicht. Dies alles berichten die Zwei der Erzählung zufolge Jesus, der unerkannt sich ihrem Weg nach Emmaus anschloss.

Nun aber ist wichtig zu sehen, wie Jesus darauf reagiert. Er sagt nicht zu den beiden: Seht her, ich bin es: der Messias! Nein, er verweist auf ‹Mose› und auf die ‹Propheten› und auf die ganze ‹Schrift›. Ist darin nicht von einem geheimnisvollen ‹Gottesknecht› die Rede, dessen Geschick mit geradezu hellseherischer Präzision auf Jesu Leiden festgeschrieben zu sein scheint? Deshalb seine gezielte Frage: «Musste nicht der Messias all das erleiden, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen?» Und fällt von diesen festgeschriebenen Ereignissen am Karfreitag nicht sogleich auch helles Licht auf die österlichen Ereignisse? Kann Gott den im Stich gelassen haben, von dem geschrieben steht: «... der Herr fand Gefallen an seinem zerschlagenen Knecht, er rettete den, der sein Leben als Sühnopfer hingab » (Jes 53,5).

Indes, die Emmauserzählung erreicht mit diesem aufschlussreichen katechetischen Unterricht Jesu, die Bibel auf die Leidens- und Auferstehungsgeschichte des Messias hin zu lesen, noch nicht ihren Höhepunkt. Die Bibelerschließung allein bewirkte nicht, dass die beiden Jesus erkannten.

Am Ziel ihres Weges angekommen, bitten sie ihren Begleiter, mit ihnen einzukehren und zu bleiben. «Da» erst «gingen ihnen die Augen auf». Denn, «als er mit ihnen bei Tisch war», so führt der Erzähler die Erzählung ihrem Höhepunkt zu, «nahm er das Brot, sprach den Lobpreis, brach das Brot und gab es ihnen». – Wer erkennt in diesen Worten nicht die bereits ritualisierten Sätze der im letzten Abendmahl Jesu verankerten eucharistischen Feiern der Kirche?

«Sie erkannten ihn», heißt es im Text, «dann sahen sie ihn nicht mehr». Es ging ihnen ein Licht auf: Welches Licht? Das Licht des Glaubens an die Identität des gekreuzigten mit dem verherrlichten Christus bei der Feier des Mysteriums der Eucharistie.

Zweifelsohne unterstreicht der Evangelist mit dieser seiner Emmauserzählung, was er den Christen aller Zeiten sagen will: Die an Christi Erlösungswerk Glaubenden bedürfen keiner besonderen Erscheinung ihres Herrn mehr. Die Erfahrung einer Begegnung mit ihm bietet ihnen vorzüglich die Feier der Eucharistie. Das soll genügen!

Diesen Gedanken von der Begegnung mit dem verherrlichten Christus bei der Feier der Eucharistie hat der hl. Augustinus in einer Osterpredigt aufgegriffen und in seiner Weise vertieft: «Ihr Lieben», so sagte er, «ihr sollt euch gleichwohl daran erinnern, auf welche Weise der Herr Jesus von denen am Brechen des Brotes erkannt werden wollte, deren Augen so gebunden waren, dass sie ihn nicht erkannten. Die Gläubigen wissen, wovon ich rede. Sie (die Jünger von Emmaus) haben Christus am Brechen des Brotes erkannt. Nicht jedes Brot nämlich, sondern nur, welches Christi Segen empfängt, wird Christi Leib» (s. 234,2).

Der bevorzugte Ort der Verkündigung des Osterglaubens ist also die Gemeinde, genauer: die Eucharistie feiernde Gemeinde, die seit dem letzten Konzil ihren Osterglauben mitten im Kanon laut und feierlich so bekennt: «Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit».

«Noch in derselben Stunde», heißt es in unserer Perikope, «brachen sie (die Zwei) auf und kehrten nach Jerusalem», der Stätte des Heils, «zurück». Die dort versammelte Gemeinde kam ihnen jedoch mit dem Bekenntnis zuvor: «Der Herr ist wirklich auferstanden und ist dem Simon erschienen». Petrus, der das Bekenntnis der Kirche formuliert, hat den Vorrang bei der Verkündigung des Osterglaubens. Aber Lukas fügt dem Evangelium hinzu: «Da erzählten auch sie (die Emmausjünger), was sie unterwegs erlebt und wie sie ihn erkannt hatten, als er das Brot brach».

Welchen Schluss haben wir aus dieser Ostererzählung zu ziehen? Ich denke folgenden: Christen, sofern sie glauben, dürfen über den Kern der neutestamentlichen Verkündigung nicht schweigen.

Im gleichen Lukasevangelium steht zu lesen: Als Jesus in Jerusalem einzog und die Leute ihm zujubelten, baten ihn einige Pharisäer, er möge doch seine Jünger zum Schweigen bringen. Darauf antwortete Jesus: «Wenn sie schweigen, werden die Steine reden» (19,40).

Wie kann man als Christ über Ostern überhaupt schweigen? Die Kirche hält uns in ihrer Liturgie – und nicht nur in der Liturgie! – zu lautem Jubel an. «Brannte uns nicht das Herz in der Brust, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift erschloss?», sagten die Emmausjünger zueinander.

Von welchem Brand ist da die Rede, fragt der hl. Augustinus in der gleichen, bereits erwähnten Predigt, wenn nicht von dem österlichen Brand der Liebe? Und von welcher Liebe, wenn nicht von jener zu dem für uns gekreuzigten und verherrlichten Herrn? «Dieser Brand reißt euch empor», sagt der fromme Bischof, er «trägt nach oben, erhebt zum Himmel.

Was immer ihr an Unannehmlichkeiten auf Erden erduldet, so sehr der Feind ein Christenherz auch nach unten drücken mag, das Feuer der Liebe weist nach oben. Nehmt ein Gleichnis. Wenn du eine brennende Fackel in den Händen hältst, hältst du sie aufrecht, das Flammenbündel steigt nach oben. Senkst du die Fackel, die Flamme strebt dennoch gegen den Himmel. ... Wohin immer sich Brennendes wendet, die Flamme kennt keinen anderen Weg ... . Glühend im Geiste lasst euch entflammen vom (österlichen) Feuer der Liebe. Setzt euch in Glut durch Gotteslob und ausgezeichnete Sitten. Der eine ist warm, der andere kalt. Der Warme entzünde den Kalten; und wer wenig brennt, wünsche sich Mehrung, erbitte sich Zehrung. Gott ist zum Schenken bereit» (s. 234,3). Amen