SONNTAG IN DER WEIHNACHTSOKTAV C (27.12.2009)

Eucharistiefeier aus Anlass des 75. Geburtstages
von Schwester Dolores Schneider OSA in Himmelspforten

Zelebrant: Cornelius Petrus Mayer OSA

Vorspann:

Während ich zu Euch rede, werden wir alle älter, sagte einmal der hl. Augustinus in einer Predigt. Dennoch halten wir bei bestimmten Eckdaten des Lebens inne, bei den runden Geburtstagen, aber auch beim 75., der für das Dreiviertel eines Jahrhunderts steht.

Schwester Dolores, unsere Jubilarin, hat dieses Alter erreicht, und sie hat uns eingeladen, mit ihr in einer Eucharistiefeier Gott zu danken. Ich glaube, ihr im Namen aller versichern zu dürfen, dass wir dies gerne tun.

Ich hatte Schwester Dolores als Oberin im Marta-Haus in den 70er Jahren kennen gelernt, und es ist mir damals schon nicht entgangen, dass gottesdienstliches Feiern für sie so etwas wie ein Lebenselixier sein musste.

Dies potenzierte sich im Mutterhaus. Die Generaloberin Mutter Dolores schien jenem Kreis tiefgläubiger Menschen anzugehören, denen der biblische Dichter die Worte aus dem Psalm 122 in den Mund legte: Wie freute ich mich, als man mir sagte: ‹Zum Haus des Herrn wollen wir pilgern›.

Ein solches Verhalten bezeugt das Evangelium unserer Tagesmesse auch vom zwölfjährigen Jesus. Als dessen Eltern am Ende einer Wallfahrt nach Jerusalem ihren Sohn suchten, den sie schließlich im Tempel fanden, antwortete dieser auf die Klage der Mutter: Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört? (Lk 2,49)

Ich möchte deshalb davon ausgehend, den Psalm 122 zum Leitfaden meiner Predigt machen, zumal auch unser Ordensvater, der hl. Augustinus, diesen Psalm deshalb so hochschätzte, weil er eine klare Antwort auf die uns alle, im Alter jedoch zunehmend bedrängende Frage gibt: Wohin geht die Reise unseres Lebens?

Davon also soll in der Predigt die Rede sein.

Predigt:

Dass Wallfahrten im Leben gläubiger Menschen eine erhebliche Rolle spielten und immer noch spielen, dies bezeugen die Religionen insgesamt, allem voran die biblischen.

Wallfahrten haben ein Ziel. In Israel hieß dieses Ziel: Jerusalem – Jerusalem mit dem vom Tempel beherrschten Sionsberg. Nach dem mosaischen Gesetz waren alle männlichen Israeliten verpflichtet, sogar dreimal jährlich im dortigen Tempel zu erscheinen und an der Festfeier teilzunehmen. Ich freute mich, als man mir sagte: ‹Zum Haus des Herrn wollen wir pilgern›, so beginnt unser Psalm 122, und er fährt vielsagend fort: Schon stehen wir in deinen Toren, Jerusalem: Jerusalem, du starke Stadt, dicht gebaut und fest gefügt.

Nun muss man wissen, dass der Name Jerusalem für Christen nach den Ereignissen, die das Neue Testament verkündet, zu einer Metapher, zu einem Bildbegriff für den Himmel im christlich religiösen Sinn, geworden ist. Ebenso muss man wissen, dass der Psalm 122 zu den Gradualpsalmen, zu den sogenannten Stufenliedern zählt, weil die Wallfahrer in Jerusalem angekommen, erst über Stufen zum Tempel gelangten.

Der hl. Augustinus, der, wie schon gesagt, diesen Psalm mustergültig auf die neutestamentliche Verkündigung hin auslegte, fragt in Bezug auf den von uns Christen zu leistenden Aufstieg: Wohin aufsteigen, wenn nicht in den Himmel? Der Himmel aber, so schärft er ein, sind nicht die Himmelskörper Sonne, Mond und Sterne. Der Himmel ist das geistig-geistlich zu verstehende Jerusalem, der Himmel ist die Stadt Gottes, jene aus Engeln und aus bereits Erlösten bestehende Gesellschaft von Bürgern, die auf Gott hin und von Gott her lebt.

Geradezu faszinierend legt der Kirchenvater den zitierten Vers Ich freute mich, als man mir sagte, ‹Zum Haus des Herrn vollen wir pilgern›, aus, indem er fragt: Wer sagt uns solches, wenn nicht die Bürger des Gottesstaates, die Bewohner des himmlischen Jerusalems. Noch getrennt von ihnen pilgern wir nicht selten durch viele Nöte hier auf Erden, aber der Hoffnung nach gehören wir bereits zu ihnen. Sie, die Bürger dieses himmlischen Jerusalem, ermuntern uns bei jeder Gedenkfeier der Apostel, der Märtyrer und aller Heiligen zu jenem Lauf, zu jenem Aufstieg, so dass wir uns von solchem Zuruf entflammt auch gegenseitig anfeuern: Ja, zum Haus des Herrn wollen wir pilgern.

Und schon stehen wir in deinen Toren Jerusalem. Jerusalem, du starke Stadt, dicht gebaut und in sich fest gefügt, heißt es weiter im Psalm. Wieder erinnert der predigende Bischof seine Zuhörer daran, dass sie selbst als Glieder am Leibe Christi zu dieser ‹starken› und ‹dicht gebauten und fest gefügten Stadt› gehören. Denn heißt es nicht im Ersten Petrusbrief 2,5: Ihr werdet gleich lebendigen Steinen zu einem geistigen Haus aufgebaut? Und: Was heißt lebendig, wenn nicht gläubig?

Zugleich freilich kann Augustinus sich nicht genug tun, das himmlische Jerusalem von dem irdischen abzuheben. Wir Christen laufen als Kinder der Moderne Gefahr, den Kern der neutestamentlichen Verkündigung aufzugeben, wenn wir den Himmel als Ziel unserer Pilgerschaft nicht mehr genügend reflektieren und auch artikulieren. Gewiss tragen wir für diese Welt Verantwortung – das Liebesgebot allein schon unterstreicht dies sattsam. Heimat darf uns diese Welt nur auf Zeit sein. Dies unterstrich bereits der Apostel Paulus in seinem Philipperbrief unmissverständlich, in dem er schrieb: Unsere Heimat ist im Himmel (3,20). Was zeichnet den Himmel als Heimat aus? fragt Augustinus und seine Antwort lautet in aller Kürze, die Beständigkeit, Gottes zeitlose Ewigkeit. Er zitiert das Bibelwort: Einst hast du die Erde gegründet, das Firmament ist deiner Hände Werk. Sie werden vergehen ... du indes bist stets derselbe, deine Jahre enden nicht (Ps 102,26-28).

Bewegt fährt der Prediger fort: Gehen unsere Jahre nicht täglich zu Neige, vermögen sie überhaupt zu stehen? Die Jahre, die kamen, sind nicht mehr; und die kommen werden, sind noch nicht: jene haben aufgehört, und diese werden als vergängliche kommen. Ähnlich verhält es sich mit den Tagen und mit den Stunden. Beständigkeit hat nichts und niemand in dieser Welt. Betrachte deinen Leib; er hat keinen Bestand. Er verändert sich im Laufe der Lebensalter, er unterliegt dem Wandel in Raum und Zeit, den Krankheiten und den Schwächen des Fleisches ... Selbst der Geist des Menschen, die Vernunft, ist veränderlich, besteht nicht in sich: bald will sie, bald will sie nicht, ... bald erinnert sie sich, bald vergisst sie.

Allen und allem mangelt es an Stabilität, dem Himmel jedoch, den Bürgern des Gottesstaates, wird sie verliehen. Dort werden Jahre und Tage nicht gezählt; dort ist das Jahr gleich dem Tag und der Tag gleich dem Jahr, dort beginnt etwas nicht und hört auch nicht auf. Dorthin ziehen die Stämme hinauf, die Stämme des Herrn, wie es Israel geboten ist, den Namen des Herrn zu preisen – so der Vers des Psalms.

Ich brauche Weiteres nicht zu zitieren und auszulegen. Das Gesagte mag schon genügen, um zu sehen, welche Bedeutung der Pilgerschaft von ihrem Ziel her bzw. auf ihr Ziel hin in unserem Christsein zukommen soll, ja zukommen muss. Sie ist, wenn ich mit einem Fachbegriff aus der Musik so sagen darf, der ‹cantus firmus› der Evangelien und darum auch der christlichen Verkündigung – die ‹festgelegte Melodie›, die von anderen Melodien umspielt wird.

Das Thema der christlichen Pilgerschaft durchzieht Augustins Schrifttum wie ein roter Faden. Dem hochgebildeten Bischof war es dabei ein Leichtes, über den Himmel als Ziel philosophisch zu reflektieren. Als Seelsorger bediente er sich allerdings der Sprache der Bibel. Dabei ging es ihm um ein Doppeltes: einmal darum, um in den Christen, die sich als ‹Fremdlinge› in dieser Welt verstehen sollten, die Sehnsucht nach dem Himmel, ihrer eigentlichen Heimat, zu entfachen, dann aber auch darum, ihnen die Bedingungen zum Erlangen der himmlischen Verheißungen ans Herz zu legen. Und diese Bedingungen waren stets die Gesinnung und die Werke der Caritas.

An den Jahrestagen seiner Bischofsweihe pflegte Augustinus stets über seine pastoralen Aufgaben zu predigen. Lassen Sie mich diese Predigt mit einigen Sätzen aus einer solchen schließen. Ihr Thema war wieder der Himmel als Ziel christlicher Pilgerschaft: Dort wird niemand mittellos sein, niemand lahm, niemand blind, niemand hinfällig, niemand fremd, niemand nackt; alle werden gesund sein, alle rüstig, alle im Überfluss lebend, alle mit dem ewigen Licht bekleidet sein. Wen siehst du dort als Fremdling? Dergestalt ist unsere Heimat: hier sind wir Fremdlinge, nach jener wollen wir uns sehnen. Lasst uns von Gott Befohlenes ausführen, damit wir das von ihm Verheißene einfordern und das darüber hinaus Geschenke in Empfang nehmen können (Predigt 339,6). Amen.

Nachwort vor dem Segen:

Liebe Schwester Dolores. Am Ende dieses Gottesdienstes möchte ich Dir insofern danken, als Du mir die Wahl des Themas der Predigt leicht gemacht hast. Als Generaloberin glich auch Deine pastorale Aufgabe der unseres Ordensvaters, Deine Dir anvertrauten Mitschwestern zur christlichen Pilgerschaft zu motivieren. Die am Ziel Angekommenen mögen Dir und auch uns helfen, das gleiche Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.

Und ein Letztes: In der Regel des hl. Augustinus heißt es, wir Ordensleute sollten ‹Liebhaber bzw. Liebhaberin geistlicher Schönheit› sein. Bleibe es.