ZENTRUM FÜR AUGUSTINUS-FORSCHUNG

AN DER JULIUS-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT WÜRZBURG

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Fecisti nos ad te, domine, et inquietum est cor nostrum donec requiescat in te.

Confessiones 1,1

Geschaffen hast du uns auf dich hin, o Herr, und unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir.

Bekenntnisse 1,1

Einführung

Francia Franceso Raibollini: Die Anbetung des JesuskindesFrancesco Raibollini gen. Francia: Die Anbetung des Jesuskindes durch den hl. Augustinus (ca. 1497/1498). Bologna, Nationalbibliothek. Bildquelle: wikimedia commonsAls Augustinus im Jahr 391 Priester und 4-5 Jahre darauf Bischof von Hippo wurde, feierte die Kirche - wohl im Gegensatz zu dem heidnischen Sonnenfest, dem Tag der Wintersonnenwende, 'natalis solis inuicti' - schon seit längerer Zeit am 25. Dezember den Geburtstag ihres Herrn, 'dies natalis domini'.

In der noch vorhandenen Sammlung der augustinischen Predigten sind 13 über die Weihnacht überliefert (siehe unter der Rubrik Sermones in der Augustinus-Werkliste des Augustinus-Lexikons die Nummern 184-196). Diese Predigten vermitteln uns Einblicke in die nordafrikanische Weihnachtsfeier zur Zeit der Wende vom 4. ins 5. Jahrhundert. Die uns überlieferten Predigten lassen keinen Zweifel darüber aufkommen, dass der die Liturgie feiernde Bischof sich bei der Themenwahl seiner Weihnachtsansprachen ganz und gar von der kirchlichen Verkündigung leiten ließ. Dies verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass Augustinus von den schon im Neuen Testament zur Sprache gebrachten verschiedenen Christologien wie der Inkarnationschristologie, der Erhöhungschristologie, der Prophetenchristologie etc., der Erstgenannten den absoluten Vorrang gab. Der Tenor all seiner Weihnachtspredigten lautet deshalb: Gottes Wort wurde Mensch.

Augustin nennt die Menschwerdung des Wortes Gottes mit Vorliebe 'sacramentum incarnationis'. Im Blick auf die Inkarnationslehre lässt sich eine gewisse Entwicklung bei ihm feststellen. In den früheren Schriften steht die Hinführung der einer materiellen Welt Verfallenen zu der rein geistigen Welt Gottes im Vordergrund der theologischen Reflexion. Das im Fleisch erschienene 'Wort' unterweist kraft seiner göttlichen Autorität die Unwissenden. Es hält diese an, ihre Aufmerksamkeit auf die rein geistigen Güter zu richten: 'ad intellectum iubet evolare - zum Verstand emporzuschwingen', heißt es in der Frühschrift De ordine - Über die Ordnung, 2,27. Der 'Christus incarnatus' ist 'magister ueritatis - Lehrer der Wahrheit'. Nach intensiviertem Bibelstudium gleich zum Beginn seiner kirchlichen Karriere rücken andere Aspekte, insbesondere die Demut, 'humilitas', seitens des Inkarnierten, und die Wiedergeburt, 'regeneratio', bzw. die Rechtfertigung, 'iustitia dei', seitens des Sünders ins Zentrum der theologischen Reflexion über das Mysterium der Menschwerdung Christi. Ihr eigentliches Ziel ist die Erlösung des Sünders, dies kommt jetzt unmissverständlich zur Sprache.

Selbstredend bemüht sich der ehemalige Lehrer der Rhetorik um eine auch sprachlich packende Darlegung der Weihnachtsbotschaft. Jedoch getreu seiner eigenen Weisung, wonach es zu den Aufgaben des Redners gehört, seine Zuhörer an erster Stelle zu belehren, 'docere', an zweiter Stelle erst zu ergötzen, 'delectare' und schließlich auch emotional zu rühren 'flectere' (siehe De doctrina christiana - Über die christliche Wissenschaft 4,27), dominiert auch in den Weihnachtspredigten die Belehrung. Bei aller Freude am Glanz und Anmut sprachlicher Bilder, Metaphern und Allegorien, bei allem Eifer, die Hörer auch emotional zu packen und mitzureißen, verliert Augustin die Stringenz einer theologischen Gedankenführung nie aus dem Auge. Der Sermo 189 legt davon ein beredtes Zeugnis ab.

DER SERMO 189

EINE WAHRSCHEINLICH NACH 410 IN HIPPO GEHALTENE WEIHNACHTSPREDIGT

Der in vier Abschnitte gegliederte Sermo ist ein Muster christlicher Volkspredigt. Der Leser findet darin ein ganzes Arsenal von Antithesen und Paradoxien, von Klang- und Wortspielen. Sie gaben der Predigt den sprachlichen Glanz, und so gewann und sicherte auch der Prediger sich die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer. Der Sermo ist trotzdem Muster auch einer theologisch gehaltvollen Predigt.

Weihnachten hat im trinitarischen Gott seinen Ursprung. Der festliche Tag wurde nämlich von dem gestiftet, der alle Tage schuf, und der als Inbegriff des Lichtes der 'Tag' schlechthin ist. Augustin zitiert sodann im Blick auf den Satzteil: «verkündet mit Bedacht den Tag vom Tag», die Psalmverse 95,1-2. Wohl im Anschluss an das «deum de deo, lumen de lumine» im Credo werden sodann die Worte «Tag vom Tag» auf die innertrinitarische Zeugung des Sohnes vom Vater bezogen. Die lautlich zwar gleichen, begrifflich jedoch unterschiedlichen Benennungen des Vaters, des Sohnes und des Festes mit dem gleichen Wort 'Tag' verleiht der Weihnacht ihren Glanz. Der Festtag hat einen heilsgeschichtlichen und zugleich eschatologischen Skopus. Tag meint immer auch Licht. Und das 'Licht', das nicht nur dem 'Wort Gottes', sondern auch dem Inkarnierten eigen ist, reinigt die Herzen derer, die es schauen werden, wenn die gegenwärtige Nacht vergangen sein wird. Dies wird jener 'Morgen' sein, von dem der Psalmist singt, 5,2: «Am Morgen will ich vor dir stehen und dich schauen».

Jetzt erst wendet sich die Predigt dem Geschehen in der Weihnacht zu. «Gottes Wort ... hat sich ins Fleisch gehüllt - uestiuit se carne». Die Formulierung unterstreicht die Personeneinheit der beiden Naturen Christi. Die Geburt aus Maria grenzt nicht an ein Wunder, sie ist es. Daher: «Was gibt es Wunderbareres?» Rhetorisch wirksam sind die prägnanten Antithesen und Paradoxien: 'concepit uirgo', 'parit uirgo'. 'creatus - creauit', 'attulit fecunditatem - non corrupit integritatem'. Die angewandte Rhetorik steht auch im Dienst des zentralen Themas der weihnachtlichen Verkündigung, der Rechtfertigung des Menschen. Der Prediger zitiert Psalm 84,12: «Wahrheit entspross der Erde - ueritas de terra orta est». 'Wahrheit' ist Gottes Mensch gewordenes Wort. 'Erde' steht für die dem Adam entstammende Maria. «Die Gerechtigkeit, die» im Weihnachtsgeschehen «vom Himmel herabblickte», meint die den Sünder rechtfertigende Gnade. Unmögliches würde dem Menschen zugemutet, wenn man von ihm, dem notorisch Armen und Nackten, jene 'Gerechtigkeit' einforderte, mit der allein er vor Gott bestehen kann. In seiner Menschwerdung eilt deshalb Christus dem Sünder nicht nur entgegen, er wird ihm zum 'Weg', damit er nicht zugrunde geht.

Die Geburt eines Menschen veranschaulicht drastisch das Elend, das unser Dasein kennzeichnet. Der Prediger kann sich nicht genug tun, die menschliche Geburt, die 'humana generatio' der göttlichen Wiedergeburt, der 'diuina regeneratio' gegenüberzustellen. Antithesen in Rhythmus und Klangspiel unterstreichen dies: «natus est, ut renasceremur - Er wurde geboren, damit wir wiedergeboren werden». Die Paränese, die Nutzanwendung, die in einer Predigt nicht fehlen darf, folgt aus dem Kern der Weihnachtsbotschaft. Uns wurde Gottes 'Erbarmen' zuteil. Dieses möge sich in unsere Herzen so einnisten, dass es dort Früchte bringt: Christus, den Maria in ihrem Schoß trug, sollen wir im Herzen tragen: «grauidata est uirgo ... grauidentur pectora; peperit saluatorem, pariamus laudem».

Der Schlussteil der Predigt fasst noch einmal antithetisch die Doppelgeburt Christi ins Auge: jene «vom Vater ohne Mutter - a patre sine matre» und jene «aus der Mutter ohne Vater - a matre sine patre». Zeitlosigkeit und Ewigkeit kennzeichnet die eine, Jungfrauengeburt die andere. Bei der bloßen Verwunderung über die Letztgenannte darf es nicht bleiben. Sie soll dem Lobpreis weichen: «transeat admiratio, accedat laudatio». Der geforderte Lobpreis artikuliert sich dennoch im Sichwundern - «quis non miretur?» - im Sichwundern über die Niedrigkeit des zu unserem Heil Mensch gewordenen Gottessohnes. 'Herberge', 'Windeln', 'Krippe' veranschaulichen das «pro te humiliatus est deus». Die Krippe assoziiert über die Fütterung - «Er wurde Futter für uns» - den Ochsen, «der seinen Besitzer», und den Esel, «der die Krippe seines Herrn kennt» (Jes 1,3). Die Präsenz beider Tiere bei der Geburt Christi muss den Christen in Afrika zur Zeit Augustins bereits vertraut gewesen sein. Sie vertreten sinnbildlich die Kirche aus Juden und Heiden. Der Prediger lässt es indes dabei nicht bewenden. Der Esel suggeriert ihm den Einzug Jesu in Jerusalem vor der Passion. Die abschließende Paränese: «Schäme dich nicht ein Lasttier des Herrn zu sein!», ist an Einfallsreichtum kaum zu überbieten. Nach der Interpretation Augustins reitet auf dem Esel 'der Weg' selbst, denn Christus ist entsprechend der Stelle aus Jo 14,6: «ich bin der Weg» für uns dies geworden. Kühn verbindet die Predigt die Inkarnation mit der Passion. Christen, die an das Geschehen der Weihnacht glauben und Weihnachten feiern, sind mit ihrem Herrn auf dem Weg nach Jerusalem. Sie wissen freilich, dass sich dort ihr Heil ereignen wird. Deshalb werden sie schon auf dem Weg dorthin nicht erdrückt, sondern aufgerichtet. Unmöglich, dass sie zugrunde gehen.

Text und Übersetzung

1. sanctificauit nobis istum diem dies, qui fecit omnem diem; de quo Psalmus cantat «cantate domino canticum nouum, cantate domino omnis terra. cantate domino et benedicite nomen eius, bene nuntiate diem de die salutare eius».   1. Es heiligte uns diesen (festlichen) Tag (jener) Tag, der alle Tage schuf. Von ihm singt der Psalm (95,1-2): «Singt dem Herrn ein neues Lied, singt dem Herrn alle Länder. Singt dem Herrn und preist seinen Namen, verkündet mit Bedacht den Tag vom Tag, der da ist sein Heil».
quis est iste dies de die, nisi filius de patre, lumen de lumine? sed dies ille, qui genuit diem, qui de uirgine nasceretur hoc die; dies ergo ille non habet ortum, non
habet occasum. diem dico patrem deum. non enim esset Iesus dies de die, nisi esset et pater dies.
  Wer ist dieser Tag vom Tag, wenn nicht der Sohn vom Vater, das Licht vom Lichte? Jener Tag aber, der den Tag erzeugte, welcher an diesem (zeitlichen) Tag aus der Jungfrau geboren werden sollte, jener Tag also kennt weder einen Aufgang noch einen Untergang. Tag nenne ich Gott Vater. In keiner Weise nämlich wäre Jesus Tag vom Tag, wenn der Vater selbst nicht Tag wäre.
quid est dies nisi lumen? non oculorum carnalium, non lumen commune hominibus et pecoribus, sed lumen quod angelis lucet, lumen cui uidendo corda purgantur. transit enim ista nox, in qua modo uiuimus, in qua nobis accenduntur lucernae scripturarum; et ueniet illud, quod in alio Psalmo canitur, «mane adstabo tibi, et contemplabor te».   Was ist (jener) Tag, wenn nicht Licht? (Freilich) nicht das der Augen unseres Fleisches, nicht das Licht, das allen Menschen und Tieren gemeinsam ist, sondern das Licht, das den Engeln leuchtet, das Licht, das die Herzen derer, die es schauen, reinigt. Es vergeht nämlich diese Nacht, in der wir gegenwärtig leben, in der uns die Lampen der Hl. Schriften entzündet werden. So geht in Erfüllung, was in einem anderen Psalm gesungen wird (Psalm 5,2): «Am Morgen will ich vor dir stehen und dich schauen».
2. dies ergo ille uerbum dei, dies qui lucet angelis, dies qui lucet in illa patria unde peregrinamur, uestiuit se carne, et natus est de Maria uirgine. mirabiliter natus est. quid mirabilius uirginis partu? concepit, et uirgo est; parit, et uirgo est. creatus est enim de illa quam creauit; et attulit ei fecunditatem, non corrupit integritatem.   2. Jener Tag also, Gottes Wort, der Tag, der den Engeln leuchtet, der Tag, der jene Heimat erhellt, aus der wir ausgezogen in der Fremde umherirren, er hat sich ins Fleisch gehüllt und wurde aus Maria der Jungfrau geboren. Auf wunderbare Weise wurde er geboren. Gibt es (überhaupt) Wunderbareres als das Gebären einer Jungfrau? Sie empfing und bleibt Jungfrau; sie gebiert und bleibt Jungfrau. Er kam nämlich durch die ins Dasein, die er erschuf; er verlieh ihr die Fruchtbarkeit, ohne ihr die Unversehrtheit zu nehmen..
Maria unde? ex Adam. Adam unde? de terra. si Adam de terra, et Maria de Adam, ergo et Maria terra. si Maria terra, agnoscamus quod cantamus: «ueritas de terra orta est». quale nobis beneficium praestitit? «ueritas de terra orta est, et iustitia de caelo prospexit».   Woher stammt Maria? Aus Adam. Woher stammt Adam? Von der Erde. Wenn Adam von der Erde stammt und Maria von Adam, so ist auch Maria Erde. Ist Maria Erde, so laßt uns verstehen, was wir (im Psalm 84,12) singen: «Die Wahrheit ist der Erde entsprossen». Welche Art von Wohltat brachte sie uns? «Die Wahrheit ist der Erde entsprossen, und die Gerechtigkeit blickt vom Himmel herab».
Iudaei enim, sicut dicit apostolus, «ignorantes dei iustitiam, et suam uolentes constituere, iustitiae dei non sunt subiecti». unde potest homo esse iustus? a semetipso? quis pauper sibi dat panem? quis nudus cooperitur, nisi acceperit uestem? iustitiam non habebamus; peccata hic sola erant.   Die Juden allerdings, so sagt der Apostel (Röm 10,3) «verkannten die Gerechtigkeit Gottes, indem sie ihre eigene zu errichten trachteten, stellten sie sich nicht unter die Gerechtigkeit Gottes». Woher vermag der Mensch gerecht zu werden? Aus eigenem Vermögen? Welcher Habenichts vermag sich selber Brot zu geben? Welcher Nackter vermag sich zu bekleiden, ohne zuvor ein Kleidungsstück empfangen zu haben? So besaßen wir keine Gerechtigkeit, wir besaßen lediglich (unsere) Sünden.
unde iustitia? quae iustitia sine fide? «iustus» enim «ex fide uiuit». qui sine fide se dicit iustum, mentitur. quomodo non mentitur, in quo non est fides? si uult uerum dicere, conuertat se ad ueritatem. sed longe erat. «ueritas de terra orta est». dormiebas, uenit ad te: stertebas, excitauit te: uiam tibi fecit per se, ne perderet te. ergo quia ueritas de terra orta est, dominus noster Iesus Christus de uirgine natus est; iustitia de caelo prospexit, ut haberent homines iustitiam non suam, sed dei.   Woher (also) die Gerechtigkeit? Gibt es (überhaupt) eine Gerechtigkeit ohne Glauben? «Der Gerechte» nämlich «lebt aus dem Glauben» (Röm 1,17). Wer (daher) behauptet, er sei ohne Glauben ein Gerechter, der lügt. Wie sollte (auch) einer nicht lügen, der keinen Glauben besitzt? Will einer Wahres verkünden, so wende er sich an die Wahrheit. Sie war jedoch lange (Zeit) abwesend. (Daher:) «Die Wahrheit ist der Erde entsprossen». Du schliefst, sie kam zu dir; du schnarchtest, sie erweckte dich; einen Weg hat sie aus sich dir bereitet, um dich nicht zu verlieren. Weil also Wahrheit der Erde entsproß, wurde unser Herr Jesus Christus aus der Jungfrau geboren, blickte Gerechtigkeit vom Himmel herab, damit die Menschen Gerechtigkeit erlangten, nicht die ihre, sondern die Gottes.
3. quantam dignationem. qualis praecessit indignatio. indignatio quae praecessit? mortales eramus, peccatis premebamur, poenas nostras portabamus. omnis homo, quando nascitur, inchoat a miseria. noli quaerere prophetantem; interroga nascentem, et uide flentem.   3. Welche Auszeichnung! (Aber auch) welche Entrüstung ging ihr voraus! Diese Entrüstung, von welcher Art war sie? Wir waren sterblich, wurden von der Sündenlast erdrückt, trugen unsere Strafen. Jedermann beginnt sein Leben im Elend. Es braucht keine Wahrsager, (um dies zu gewahren): befrage den Neugeborenen und siehe, wie er weinend auf die Welt kommt!
cum ergo ista esset in terra magna dei indignatio, qualis subito facta est dignatio? «ueritas de terra orta est». creauit omnia, creatus est inter omnia: fecit diem, uenit in diem: erat ante tempora, signauit tempora. dominus Christus in aeternum sine initio apud patrem: et tamen hodie quaere quid est. natalis est. cuius? domini. habet natalem? habet. in principio uerbum, deus apud deum, habet natalem? habet. nisi haberet ille humanam generationem, nos non perueniremus ad diuinam regenerationem: natus est, ut renasceremur.   Weil demnach diese so große Unmut Gottes auf Erden lastete, wie kam es da zu einem solch plötzlichen Gnadenerweis? «Die Wahrheit ist der Erde entsprossen». Der alles erschuf, erschien als Geschöpf unter Geschöpfen; er schuf den Tag und kam zum Tag. Er war vor den Zeiten und zeichnete (durch seine Menschwerdung) die Zeiten aus. Christus, der Herr, existiert in Ewigkeit ohne Anfang beim Vater: und nun frage, was heute ist. Es ist Geburtstag. Wessen? Des Herrn. Hat er einen? Ja. Hätte (nämlich) jener keine menschliche Geburt gehabt, könnten wir nicht zur göttlichen Wiedergeburt gelangen. Geboren wurde er, damit wir wiedergeboren würden.
nemo dubitet renasci, Christus natus est: generatus est, non regenerandus. cui enim necessaria erat regeneratio, nisi cuius est damnata generatio? fiat itaque in cordibus nostris misericordia eius. portauit eum mater in utero, portemus in corde; grauidata est uirgo incarnatione Christi, grauidentur pectora nostra fide Christi; peperit saluatorem, pariamus laudem. non simus steriles: animae nostrae fecundae sint deo.   Niemand zweifle an seiner eigenen Wiedergeburt, da Christus geboren wurde. Er, der es nicht nötig hatte wiedergeboren zu werden, wurde geboren. Wer war auf Wiedergeburt angewiesen, wenn nicht der, dessen Geburt verdammt war? Deshalb möge sein Erbarmen sich in unsere Herzen einnisten. Wie seine Mutter ihn in ihrem Schoß trug, so wollen wir ihn im Herzen tragen. Schwanger wurde die Jungfrau durch die Menschwerdung Christi, schwanger sollen unsere Herzen werden durch den Glauben an Christus. Jene gebar den Erlöser, uns laßt sein Lob gebären. Bleiben wir nicht unfruchtbar; unsere Seelen mögen Gott reiche Früchte tragen.
4. generatio Christi a patre sine matre; generatio Christi a matre sine patre: ambae generationes mirabiles. prima generatio aeterna, secunda temporalis.   4. Christi Geburt vom Vater geschah ohne eine Mutter; Christi Geburt aus der Mutter geschah ohne einen Vater. Beide Geburten sind wunderbar. Die erste eine ewige, die zweite eine zeitliche.
quando natus est de patre? quid est, quando? quaeris ibi quando, ibi, ubi non inuenies tempus? noli ibi quaerere quando. hic quaere quando: quando de matre bene quaeris. quando de patre non bene quaeris: natus est, et non habet tempus; natus est aeternus de aeterno, coaeternus. quid miraris? deus est. sit consideratio diuinitatis, et perit causa admirationis.   Wann wurde er vom Vater geboren? Was heißt hier überhaupt ?wann?? Erkundigst du dich dort nach einem ?wann?, dort, wo du keine Zeit finden wirst? Frage daher dort nicht nach einem ?wann?. Hier magst du danach fragen: Wann aus der Mutter? fragst du richtig. Wann aus dem Vater? fragst du nicht richtig. Er wurde geboren und hat (doch) keine Zeit; der Ewige wurde vom Ewigen als Gleichewiger geboren. Wundert dich dies? Er ist (doch) Gott. Ziehe seine Gottheit in deine Betrachtung mit ein, und du wirst keinen Grund mehr haben, dich darüber zu wundern.
et quando dicimus, natus est de uirgine, magna res, miraris. deus est, noli mirari: transeat admiratio, accedat laudatio. fides adsit: crede quia factum est. si non credideris, illud factum est, tu remanes infidelis. dignatus est homo fieri: quid quaeris amplius? parumne pro te humiliatus est deus? qui deus erat, homo factus est. angustum erat diuersorium: inuolutus pannis, in praesepe positus: audistis cum euangelium legeretur. quis non miretur? ille, qui mundum implebat, in diuersorio locum non inueniebat; in praesepe positus, cibaria nostra factus est.   Wenn aber von seiner Geburt aus einer Jungfrau die Rede ist - eine große Sache -, so magst du dich darüber wundern. (Bedenke jedoch:) er ist Gott. Laß deine Verwunderung fahren, gib Raum dem Lobpreis! Dein Glaube ist gefragt: glaube, daß es sich so verhält. Glaubst du nicht - dies geschah (dennoch) -, so bleibst du ein Ungläubiger. Er geruhte Mensch zu werden: Was suchst du weiter zu ergründen? Scheint es dir zu wenig, daß Gott sich für dich erniedrigt hat? Gott wurde Mensch. Eng war seine Herberge, in Windeln gehüllt, wurde er in eine Krippe gelegt. Ihr habt es vernommen, als das Evangelium verlesen wurde. Wen wundert dies nicht? Jener, der die Welt erfüllte, fand keinen Platz in der Herberge; in die Krippe gelegt, wurde er Futter für uns.
accedant ad praesepe duo animalia, duo populi: «agnouit» enim «bos possessorem suum, et asinus praesepe domini sui». attende ad praesepium: noli erubescere esse iumentum domini. Christum portabis, non errabis ambulans per uiam: sedet supra te uia. meministis asellum illum adductum ad dominum? nemo erubescat, nos sumus. sedeat supra nos dominus, et quo uult nos uocet. iumentum ipsius sumus, ad Ierusalem imus. ipso sedente non premimur, sed eleuamur; ipso ducente non erramus: ad illum imus, per illum imus, non perimus.   Es mögen die zwei Tiere an seine Krippe treten - die zwei Völker: «Es kennt» nämlich «der Ochs seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn» (Is 1,3). Achte auf die Krippe, und schäme dich nicht, ein Lasttier deines Herrn zu sein! Christus wirst du tragen, so wirst du nicht in die Irre gehen und vom Weg abkommen. Der Weg selbst (Christus) sitzt auf dir. Erinnert ihr euch an jenen jungen Esel, der dem Herrn zugeführt wurde? Niemand schäme sich darüber, daß wir damit gemeint sind. Möge der Herr auf uns sitzen und uns lenken, wohin immer er will. Wir sind sein Lasttier auf dem Weg nach Jerusalem. Sitzt er auf uns, so werden wir nicht erdrückt, sondern erhöht; führt er uns, so gehen wir nicht in die Irre. Wir gehen zu ihm, wir gehen durch ihn. (So) gehen wir nicht zugrunde.

 Miscellanea Augustiniana 1,209-211 (s. Frangip. 4)