Augustinus-Festpredigt

Klosterkirche Münnerstadt, 28. August 2011

Von Cornelius Petrus Mayer OSA

Heute gedenken wir Augustiner unseres Ordensvaters Augustinus, der wie kaum ein anderer Heiliger die Kirche in die Mitte sowohl seines theologischen Denkens wie auch seiner pastoralen Bemühungen rückte. Dass dies sich beim gegenwärtigen Papst Benedikt XVI. nicht anders verhält, dürfte auch mit dem Thema seine Doktorarbeit Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche zusammenhängen. Sie prägte und prägt ihn bis zum heutigen Tag. ‹Die Kirche soll in den Herzen der Gläubigen kraftvoll aufbrechen› – dies war der Tenor seiner Predigt bei der Abschlussmesse des Weltjugendtages 2011 in Madrid am vergangenen Sonntag.

Von einer Kirche im Sinne der neutestamentlichen Verkündigung könne nur im Kontext des in den Evangelien verkündeten Christus die Rede sein. «Man kann» nämlich, so der Papst wörtlich unter Bezugnahme auf den Ersten Korintherbrief, «Christus nicht von der Kirche trennen, so wie man den Kopf nicht vom Leib trennen kann» (vgl. 12,12). Damit spielte Papst Benedikt auf ein heutzutage um sich greifendes Verständnis des Christentums mit der Parole ‹Jesus ja, Kirche nein!› an, der zufolge Jesus gleich Buddha oder Mohammed zwar eine religiöse Persönlichkeit von Rang, nicht jedoch ‹der Mensch gewordene Sohn Gottes›, nicht ‹der für uns gekreuzigte und verherrlichte Christus› war.

Indes, schon in sehr frühen Zeiten fasste die Kirche ihr Credo über Christus in einen Hymnus, den bereits der Apostel Paulus in seinem Brief an die Philipper zitiert: ‹Christus Jesus war› demnach «Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, / sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave den Menschen gleich. / Sein Leben war das eines Menschen: er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. / Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, / damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu, und jeder Mund bekennt: Jesus Christus ist der Herr – zur Ehre Gottes des Vaters» (2,6-11). Die Menschwerdung des Gottessohnes, dessen Kreuzestod und Verherrlichung waren und sind somit die Eckdaten der kirchlichen Verkündigung. Daraus folgte und folgt immer noch das Selbstverständnis der Kirche. Kein Theologe dürfte dies so tiefsinnig begründet, sprachlich so eloquent dargestellt und auch in seinen Predigten immer wieder so intensiv zur Sprache gebracht haben wie der Kirchenvater Augustinus.

Wer von uns würde schon auf die Frage, was er denn für die eigentliche Würde seines Personseins betrachtete, antworten: ‹Glied am Leibe Christi zu sein›? Dabei rangierte gerade diese Antwort an erster Stelle im frühen Christentum. «Ihr aber seid der Leib Christi, und jeder einzelne ist ein Glied an ihm», heißt es in dem schon erwähnten Ersten Korintherbrief (12,27). Andere Texte nennen Christus ‹das Haupt eines Leibes›, der die Kirche ist (vgl. Eph 1,22f.). Gerade im Blick auf diese Einheit von Haupt und Gliedern sprach Augustinus mit Vorliebe von einem ‹ganzen Christus›, da doch auch ein Leib aus Haupt und Gliedern bestehe.

Besonders gerne kam der Bischof auf diesen ‹ganzen Christus› in der Liturgie der Osternacht zu sprechen, wenn er den Neugetauften, die zum ersten Mal die Eucharistie mit der Gemeinde feiern durften, die eucharistischen Gaben von Brot und Wein auf ‹Christi Leib› hin erklärte. «Ihr müsst wissen, was ihr empfangen habt, ... und was ihr täglich empfangen solltet», sagte er. «Jenes Brot, das ihr auf dem Altar seht – es wurde geheiligt durch das Wort Gottes –, ist der Leib Christi. Jener Kelch, ... geheiligt durch das Wort Gottes – ist das Blut Christi. Durch beides wollte Christus, der Herr, uns seinen Leib und sein Blut, das er für uns zur Vergebung der Sünden vergossen hat, anvertrauen. Wenn ihr sie in rechter Weise empfangen habt, seid ihr es, was ihr empfangen habt. Sagt doch der Apostel: ‹Ein Brot, ein Leib, sind wir, die Vielen› (1 Kor 10,17). So (nämlich) legte er das Sakrament des Herrentisches aus: Ein Brot, ein Leib, sind wir die Vielen» (Predigt 227).

In einer anderen Osterpredigt erklärt der Bischof den Neugetauften – für uns ungewohnt, ja ungemein kühn: «Wenn ihr also der Leib Christi und dessen Glieder seid, so liegt euer Geheimnis auf dem Tisch des Herrn: Euer Geheimnis empfangt ihr. ... Seid, was ihr seht, und empfanget, was ihr seid! ... Zu dem, was ihr seid, antwortet ihr Amen», so fährt er vielsagend fort. «Diese Antwort ist eure Unterschrift. Du hörst: Leib Christi, und antwortest: Amen. Sei ein Glied am Leib Christi, damit dein Amen wahr sei» (Predigt 272). Amen heißt bekanntlich: so sei es!

Seit der Liturgiereform nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wird uns die Kommunion wieder wie schon zur Zeit Augustins mit dem Zuruf ‹Leib Christi› gespendet, worauf wir mit ‹Amen› antworten. Vielleicht eröffnet uns dieses Kirchen- und Eucharistieverständnis des heiligen Augustinus neue Zugänge und Einblicke in unsere christliche Identität, um die Papst Benedikt auf dem Weltjugendtag so intensiv warb. Der Erlöser mit den Erlösten: ‹der ganze Christus› – ein faszinierender Gedanke. «Lasst uns also gegenseitig beglückwünschen und danksagen», rief Augustinus seiner Gemeinde zu, «nicht nur Christen geworden zu sein, sondern Christus. Versteht ihr dies?», fragte er. «Erfasst ihr die Gnade unseres Hauptes über uns? Bestaunt dies und freut euch darüber: Christus sind wir geworden! Ist nämlich jener das Haupt, so sind wir die Glieder. Der ganze Mensch ist jener und wir» (Auslegung des Johannesevangeliums 21,8).

Man kann sich gut vorstellen, welchen Jubel der ehemalige Lehrer der Beredsamkeit Augustinus bei seinen Zuhörern ausgelöst haben mag. Die Verben der Begeisterung, ‹Beglückwünschen›, ‹Danksagen›, ‹Bestaunen›, ‹Sich freuen›, überbieten sich geradezu, denn «Christus sind wir geworden». Diese Würde unserer christlichen Identität kann nicht mehr dichter zur Sprache gebracht werden. Amen.

Cornelius Petrus Mayer OSA