Fest des hl. Augustinus 2007

Mutterhaus der Ritaschwestern

Cornelius Petrus Mayer OSA

Vorspann

Ich war schon angenehm überrascht, als Sie mich am 8. Januar dieses Jahres zu einem Vortrag über das Thema «Ehret in euch gegenseitig Gott, dessen Tempel ihr geworden seid» mit der Begründung einluden, dieser Satz aus dem Anfang der Regel (1,8) unseres Ordensvaters habe bei den Vorbereitungen auf Ihr Kapitel im vergangenen Jahr eine wichtige Rolle gespielt. Darin, so wurde mir gesagt, fanden Sie bei der Suche nach einem Konzept für die Spiritualität Ihrer Kongregation so etwas wie einen Leitgedanken oder ein Fundament des Zusammenlebens. Der Text gibt in der Tat dies her.

Heute, da wir uns am Festtag unseres Ordensvaters zur Feier der Eucharistie eingefunden haben, möchte ich Ihnen in der Predigt einen anderen Satz vorlegen, der im Gegensatz zu jenem am Anfang am Ende der Regel zu lesen ist, und der die Spiritualität, welche die Regel uns vermittelt, sozusagen auf den Punkt bringt.

Der Satz lautet: «Der Herr gebe euch die Gnade, dass ihr als Liebhaber der geistigen Schönheit dies alles mit Liebe verfolgt und dass ihr auf diese Weise den Wohlgeruch Christi durch euren Lebenswandel verbreitet – nicht wie Sklaven unter dem Joch des Gesetzes, sondern wie Freie unter der Gnade» (8,1).

Was ist darunter zu verstehen, Liebhaber bzw. Liebhaberin der geistigen Schönheit zu sein? Und: wie wird man das? Diese Fragen sollen uns in der Predigt beschäftigen.

Predigt

Über die Person und das Werk des hl. Augustinus, der nicht nur seine eigene Zeit, sondern auch die Zeiten der auf ihn folgenden Jahrhunderte wie kein zweiter kulturell geprägt hat, erscheinen weltweit jährlich immer noch rund 300 Titel. Diese schier einmalige Wirkungsgeschichte hängt gewiss weithin von der Tiefe seiner Gedanken, zugleich aber auch von der Faszination seiner Sprache ab, in der er seine Schriften verfasst hat. Der fromme und gelehrte Bischof war nämlich ein vollendeter Ästhet, d.h. ein Mensch, der das Schöne liebte, und der bei allen seinen Aktivitäten auf das Schöne bedacht war.

Dieses ausgeprägte Interesse am Schönen schlug sich natürlich auch im Text der Regel nieder, die Augustinus zum Beginn seines Episkopates, etwa um das Jahr 397 für Ordensleute geschrieben hat. Darin wendet er sich als Bischof und Ordensgründer an Laien- und Klerikermönche, mit denen er zusammen lebte, ebenso aber auch an Kloster-frauen, die sich in der Umgebung seines Bischofshauses niederließen.

Schon die Komposition dieser Regel ist wie viele andere Schriften des Kirchenvaters ein Kunstwerk. Sie beginnt mit dem Aufriss des Grundideals einer ‹einmütig› auf Gott hin ausgerichteten Lebensfüh-rung.

Nun bedarf eine solche Lebensführung auch konkreter, den Verlauf der täglichen Aufgaben und Bedürfnisse regelnder Weisungen. In sieben Kapiteln werden sie im Einzelnen dargelegt: das gemeinsame und private Gebet, die Sorge um das leibliche und geistige Wohl, der gegenseitige Dienst aneinander, die geschwisterliche Zurechtweisung und dergleichen mehr.

Indes, diese Regel wäre nicht die Regel Augustins, käme darin die Gnade nicht gebührend mit zur Sprache – die Gnade, die ein solches Zusammenleben trägt und prägt und mit ihrer Hilfe auch ermöglicht. Dies geschieht im kurzen letzten Kapitel. Kenner der Werke Augustins weisen darauf hin, dass erst dieser Satz aus dem Schlusskapitel den Lesern der Regel den Schlüssel zu ihrem rechten Verstehen zur Hand gibt: «Der Herr gebe euch die Gnade, dass ihr gleichsam als Liebhaber der geistigen Schönheit dies alles mit Liebe verfolgt und auf diese Weise den Wohlgeruch Christi durch euren Lebenswandel verbreitet – nicht wie Sklaven unter dem Joch des Gesetzes, sondern wie Freie unter der Gnade».

Nach der Augustinus-Regel sind also Ordensleute Liebhaber der geistigen Schönheit – was Schöneres könnte man über sie sagen! Als solche sind sie aufgerufen, ihre ganze Existenz unter ein einziges Gesetz zu stellen, unter das ‹Gesetz der Liebe›, um als ‹Freie unter der Gnade› ihr Leben zu gestalten. Ein großes Wort mit hohem Anspruch!

Wie aber wird man ‹Liebhaber der geistigen Schönheit›? Diese ungemein wichtige Frage beantwortete Augustinus ausführlich in den dreizehn Büchern seiner Bekenntnisse, die er gerade um die Zeit der Abfassung der Regel zu schreiben begann.

Um es gleich vorwegzunehmen, Augustinus besaß bis zu seinem Tod wache Sinnesorgane, mit denen er das Schöne in seiner Umgebung bewusst und lebhaft wahrnahm. Freilich nahm er ebenso wahr, dass sich das Schöne in dieser Welt dem Wahr-nehmenden sozusagen nur im Vorübergehen dar-bietet – konkret: dass die Rose verblüht, dass das Lied verklingt und dass der Duft verströmt.

Was also ist das Schöne in seiner vergänglichen Gestalt, wenn nicht lediglich der Abglanz jenes Schönen, das nicht vergeht, sondern bleibt? Und zwar bleibt es deshalb, weil es allem Schönen, so lange dieses sein Schönsein wahrt, Anteil gibt. Und was ist dieses Schöne, wenn nicht Gott, die Schön-heit selbst als der Schöpfer, als der Erlöser und als der Vollender aller Dinge?

Solche Gedanken entfaltete Augustinus bereits in einer der bald nach seiner Bekehrung abgefassten Schriften, der er den vielsagenden Titel Über die Ordnung gab. Schon darin zeigte und mahnte er, dass der Betrachter der Dinge bei der Wahrnehmung von deren Schönsein nicht innehalten dürfe, sondern dass er gleichsam Stufe für Stufe, von Außen nach Innen, und von Innen nach Oben fortschreiten müsse, um jene von der Schönheit geprägte Ordnung wahrnehmen zu können, die von Gott ausgeht und den Weg zu Gott weist.

Diesen Aufstieg über das Schöne zur Schönheit entfaltet Augustinus dann mustergültig im zehnten Buch seiner Bekenntnisse. Wohlgemerkt, der Bereich des Sinnlichen wird da nicht ausgeschaltet oder verleugnet, gar verdammt, sondern integriert, einbezogen, überhöht, denn das Erschaffene ist es, durch das und über das man sich zu Gott erhebt. So und nur so wird man ‹Liebhaber der geistigen Schönheit›.

Hören Sie sich diesen inhaltlich wie auch sprach-lich bestrickenden Text aus den Bekenntnissen an, den Augustinus gezielt an die Spitze seiner Be-schreibung des Aufstiegs gesetzt haben dürfte: Er beginnt mit der Frage «Was aber liebe ich, wenn ich dich (Gott) liebe?» Die Antwort lautet: «Nicht Schönheit des Körpers, zeitliche Anmut nicht, nicht hellen Glanz des Lichtes, ... nicht süße Weisen aus dem vielgestaltigen Reich der Töne, nicht der Blumen und der Salben und der Gewürze Wohlgeruch, Manna und Honig nicht, nicht liebreizende Glieder in fleischlichen Umarmungen: das ist’s nicht, was ich liebe, wenn meinen Gott ich liebe».

Ist dies aber nicht eine Verleugnung alles irdisch Schönen? Mitnichten! Mitnichten, denn der Auf-stieg baut darauf auf. Deshalb fährt der Text fort: «Und dennoch liebe ich wahrhaft ein Licht und ei-nen Klang und Wohlgeruch, Speisen und Umfangen meines inneren Menschen, wo meiner Seele leuchtet, was kein Raum zu fassen mag, und wo ertönt, was keine Zeit entrafft, und wo erduftet, was kein Wind verweht, wo Speise schmeckt, die nicht die Esslust mindert, wo selig eint, was Übersättigung nicht abstumpft. Das ist es, was ich liebe, wenn meinen Gott ich liebe» (10,8).

Darauf erst beginnt Augustin die Dinge, die ihn umlagern, ins Visier zu nehmen und zu fragen, ob sie denn Gott seien. Sie aber schrieen, heißt es, «wir sind dein Gott nicht, suche höher!» (eb. 10,9). Und so geht der Aufstieg zunächst über die Aus-stattung der Geistseele und deren Betrachtung weiter. In bestrickenden Bildern wird die Innenwelt des Menschen mit den ‹weiten Hallen des Gedächtnisses› geschildert. Aber auch die Geistseele ist nicht Gott. Indes, sie vermag Wahres vom Falschen zu unterscheiden, ebenso Gutes vom Bösen und Schönes vom Hässlichen und auf diese Weise die ‹Spuren Gottes› noch deutlicher zu erkennen. Indem sie aber diese erkennt, erfährt sie sich selbst als ‹Abbild Gottes›, der das Urbild alles Guten, alles Wahren und alles Schönen ist.

Der Aufstieg, den Augustinus in diesem zehnten Buch seiner Bekenntnisse weit und breit unter Auf-wendung all seines sprachlichen Könnens entfaltet – es lohnte sich, diese Texte einmal zur Grundlage von Exerzitien zu machen – dieser Aufstieg endet in einer Art Hymne auf die Schönheit Gottes, die Dichter und Musiker wiederholt zu künstlerischem Schaffen inspirierte: «Spät habe ich dich geliebt, o Schönheit, so alt und doch so neu, spät habe ich dich geliebt. Und siehe, du warst drinnen und ich war draußen, und dort suchte ich dich, und auf das Schöngestaltete, das du geschaffen, warf ich mich selber missgestaltend. Du warst mit mir und ich war nicht bei dir. Und weit hielt mich von dir, was gar kein Dasein hätte, wäre es nicht in dir. Du hast gerufen, ja geschrieen und meine Taubheit zerrissen; du hast geblitzt und gestrahlt und meine Blindheit verscheucht; du hast geduftet, und ich habe den Hauch eingeatmet und lechze nun nach dir; ich habe gekostet, nun hungere ich und dürste; du hast mich angerührt, und da bin ich entbrannt nach deinem Frieden» (ebd. 10,38).

Lassen Sie mich zum Schluss nochmals kurz auf unsere Ordensregel zurückkommen. Ich sagte eingangs, der zitierte Satz mit der Anrede seiner Adressaten als Liebhaber der geistigen Schönheit sei deren eigentlicher Höhepunkt. Er ist in der Tat deren Substanz, denn manch konkrete Anweisung darin war und ist zeitbedingt. Wir tragen – um nur ein Beispiel zu nennen – keine gemeinsame Wäsche mehr.

Die Zeiten ändern sich und wir mit ihnen. Was sich aber nicht ändert, was seit Abfassung der Regel galt und weiterhin gelten soll und muss, ist das von Augustinus angeregte Leitmotiv zu einem Leben im Ordensstand, nämlich gemeinsam dem Schönen anzuhangen, dem Schönen in uns und um uns Raum zu geben, und zwar vorzüglich durch Befol-gung des Gebotes der Gottes- und Nächstenliebe. Dies verlangt Wachsamkeit, nicht Zwang, gegenseitige Ermutigung und Ermunterung, stehen wir doch «nicht wie Sklaven unter dem Joch des Gesetzes, sondern wie Freie unter der Gnade».

Noch ein Letztes: In seinen Predigten zum Ersten Johannesbrief bindet Augustinus das Gebot der Liebe an das Streben nach geistiger Schönheit und das Streben nach geistiger Schönheit an das Liebesgebot. «Auf welche Weise werden wir schön?» fragt er. «Indem wir den lieben», antwortet er, «der immer der Schöne ist». Und dann heißt es: «In dem Maße in dir die Liebe wächst, wächst deine Schönheit; denn die Liebe ist der Seele Schönheit» (9,9).

Dass in uns beides wachse, die Liebe und die Schönheit, dies wünsche ich Ihnen und mir zum Fest unseres Ordensvaters Augustinus. Amen.