Kunst und Kunstgenuss nach der Lehre Augustins
Festvortrag von Cornelius Petrus Mayer OSA anlässlich der Feier seines goldenen Priesterjubiläums am 22.4.2005 im Museum am Dom zu Würzburg

Vorbemerkungen:

1. Sie sind Gäste der Gesellschaft zur Förderung der Augustinus-Forschung e. V. und des Museums am Dom. Dem trägt die Themenwahl meines Referates, Kunst und Kunstgenuss nach der Lehre des Kirchenvaters Augustinus, Rechnung: Es geht um Augustinus und es geht um die Kunst.

2. Da die meisten von Ihnen Mitglieder der Fördergesellschaft sind, darf ich Sie daran erinnern, dass diese Fördergesellschaft bei ihrer auf die Initiative von Dr. Bauer vorgenommenen Um- und Neugestaltung im Jahr 1988 ein Kuratorium mit namhaften Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens erhielt. In dieser Angelegenheit wandte ich mich auch an den Augustinuskenner Kardinal Ratzinger, der postwendend zusagte und sich des öfteren anerkennend zu unseren Forschungen äußerte. In diesen Tagen war viel über ihn zu lesen. Der Corriere della Sera in Mailand schrieb: «Die Kirche vertraut sich einem Mann von 78 Jahren mit einem kindlichen Gesicht an, einem Schüchternen mit großer Energie und einer Kultur, die Augustinus in nichts nachsteht». Wollen wir hoffen, dass Benedikt XVI. uns weiterhin zur Seite steht.

3. Was hat die Theologie mit Ästhetik zu tun? – mag der eine oder andere fragen. Der Joseph Ratzinger wohl gleichrangige Theologe Hans Urs von Balthasar – er starb 1988 zwei Tage vor seiner Erhebung zum Kardinal – schrieb ein viele Bände umfassendes Werk der Theologie. Er gab ihm den Titel: Herrlichkeit. Eine theologische Ästhetik. Augustins Schriften könnte man unter dem gleichen Titel zusammenfassen: Denn was ist herrlicher als Gott, den er hochbegabt und sprachgewandt verherrlichte?

4. Mein Referat hat 4 Abschnitte: 1. Augustins Interesse an der Kunst, 2. Kunstverständnis und Kunstschaffen, 3. Der Kunstgenuss, 4. Die Kunst im Dienst der Verkündigung.

1. Augustins Interesse an der Kunst

Augustin war weder Maler noch Bildhauer noch Musiker, dennoch Künstler – Künstler im Sinne der Antike. Er studierte Rhetorik, und als Hochschullehrer übte er dieses Fach bis zu seiner Bekehrung im Jahr 386 ein gutes Jahrzehnt lang aus.

Zu seiner Zeit zählte die Rhetorik zu den freien Künsten, den sogenannten ‹artes liberales› bzw. den ‹disciplinae liberales›[1]. Obgleich Augustin nach seiner Bekehrung die berufliche Laufbahn eines Rhetors aufgab, so schätzte er die Rhetorik als Kunst um so höher ein, als er sie zusammen mit den übrigen Künsten, deren er sieben zählte[2], zur philosophischen Wahrheits- und Gotteserkenntnis für nützlich hielt. Wohl aus diesem Grunde fasste er zwischen seiner Bekehrung und seiner Taufe den Beschluss, eine Enzyklopädie zu schreiben, in welcher der gesamte Bildungsstoff und das heidnische Bildungsideal dem christlichen zu- und untergeordnet werden sollte.

In den gegen Ende seines Lebens verfassten Retractationes, einer Art kritischen Revision aller seiner Werke, lesen wir: «Zu der Zeit, als ich in Mailand die Taufe empfangen sollte, unternahm ich den Versuch, Bücher über die Wissenschaften zu schreiben». Diese Bücher verfolgten das Ziel, die Studierenden über die einzelnen Disziplinen zur Einsicht in den sie alle umfassenden transzendenten Grund des Wissens zu führen. ‹Per corporalia ad incorporalia – über das Sichtbare zum Unsichtbaren›, lautete das neue Bildungsprogramm[3].

Indes, so berichtet Augustin in den besagten Retractationes weiter, das geplante Unterrichtswerk blieb ein Torso. Vollendet habe er davon allein das verloren gegangene Buch Über die Grammatik sowie den sechs Bücher umfassenden ersten Teil Über die Musik, der nicht vom Rhythmus handelt, auf den dann noch sechs weitere Bücher über die Melodie folgen sollten[4]. Über die anderen fünf Disziplinen, die Dialektik, die Rhetorik, die Geometrie, die Arithmetik und die Philosophie, hat er zwar zu schreiben begonnen, er besaß aber davon nichts mehr.

Die Zielsetzung des ‹über das Sichtbare zum Unsichtbaren› verfolgte Augustin in nahezu allen seinen Frühschriften. Es überrascht deshalb nicht, wenn darin im Kontext der Erörterungen über die Künste und die Disziplinen die Kunst selbst und der Kunstgenuss eine kaum zu übersehende Rolle spielen.

Das außergewöhnliche Interesse des jungen Augustin an der Kunst zeigt nichts besser als sein verloren gegangenes Erstlingswerk mit dem vielsagenden Titel Über das Schöne und Angemessene – De pulchro et apto. Er hatte dieses noch als Anhänger der Sekte der Manichäer etwa um das Jahr 380 geschrieben. Zur Zeit der Abfassung der Confessiones, etwa 20 Jahre später, besaß er es nicht nur nicht mehr, er hatte es offensichtlich wegen darin mitverarbeiteter Gedanken aus der Weltanschauung der häretischen Manichäer, denen er damals noch angehörte, so erfolgreich verdrängt[5], dass er schon nicht mehr wusste, ob jenes Werk aus zwei oder aus drei Büchern bestand. Immerhin berichtet er dort, was ihn und seine Freunde von damals an diesem Thema so brennend interessierte: «Lieben wir etwas außer dem Schönen? ... Was also ist das Schöne (pulchrum)? Und was ist die Schönheit (pulchritudo)? Was ist es, das uns anlockt und an Dinge bindet, die wir lieben?»[6] Die damals gegebenen Antworten befriedigten ihn jetzt nicht mehr. Im Gegenteil, er unterwarf dieses sein Erstlingswerk einer umfassenden Kritik. Es sei ihm nicht gelungen, so führt er aus, über Körperformen, Linien, Farben und schwellende Größen hinaus das Wahre (verum) zu schauen[7].

2. Kunstverständnis und Kunstschaffen

Das Wahre und das Schöne gehören zusammen, das war die neue Sicht der Dinge, die Augustin sich mit Hilfe der neuplatonischen Philosophie aneignete. Noch vor seiner Bekehrung hatte er nämlich in Mailand Schriften der Neuplatoniker, darunter Plotins Abhandlung Über das Schöne, die Enneade 1,6, gelesen[8]. Gleichzeitig konnte er beim dortigen Bischof Ambrosius, dessen Predigten er hörte, Gedanken über die Schönheit hören, die ihm den Weg in die Innerlichkeit wiesen. «Schönheit ist innerlich», lehrte dieser. Wer sie sehen wolle, «der möge nach innen eintreten (ingrediatur intro) und das Gesicht seines Leibes draußen lassen»[9]. In der besagten Enneade fand Augustin gleichsam die philosophisch-ontologischen Grundlagen der ambrosianischen Gedanken.

Zwischen den schönen Dingen und der Schönheit unterscheidend, lehrte Plotin, Dinge in Raum und Zeit seien nicht von sich aus schön, sondern durch Teilhabe an einer alle innerweltlichen Dinge übersteigenden, von ihm mit dem (göttlichen) Intellekt (νοῦς) identifizierten Schönheit. Körper erschienen in unterschiedlicher Dichte als schön. Das stets mit sich selbst identische Schöne kenne eine solche Differenzierung nicht. Die mit einem inneren Organ ausgestattete Geistseele des Menschen sei befähigt, jenes unveränderlich Schöne zu erkennen und erkennend zu schauen. Aufgrund solcher Schau (θεωρία) nehme die Geistseele das Schöne an den Dingen jeweils wie eine Spur (ἴχνος) der transzendenten Schönheit wahr.

Plotin zufolge existiert die Schönheit als eine von jeglicher Materialität freie unveränderliche Idee[10]. Ihr gegenüber seien die «sinnlich schönen Dinge nur Abbilder, gleichsam entsprungene, in die Materie eingedrungene Schatten»[11]. Letztere stehen im Dienst des von den Platonikern gelehrten Aufstiegs. Plotin erwähnt sie nur, um im Sinne seiner Methode – es sei hier an die ursprüngliche Bedeutung dieses Terminus μέθοδος erinnert – von ihnen weg «zur Schau des weiter droben liegenden Schönen»[12] zu kommen. «Betroffenheit, süße Erschütterung, Verlangen, Liebe und lustvolles Beben» begleiten diese Schau. Weit mehr als bei der Betrachtung sinnlicher Dinge ist die Geistseele «entzückt, gepackt und gerührt», weil sie gleichsam schauend ‹berührt›, was geistig, unveränderlich und deshalb wahrhaft ist[13].

Im Maße die Geistseele sich mit der ihr wesensverwandten Schönheit beschäftigt, wird sie ihres eigenen Schönseins inne, denn, indem sie sich dieser Schönheit ausschließlich zuwendet, wird sie wahrhaft Seele[14]. Schön, so lehrt also Plotin, ist eigentlich nur das der Veränderung nicht unterworfene geistige Sein. Dieses ist, weil zeit- und raumenthoben wahr, und darum zugleich auch gut. Wer es genießen will, darf sich bei den mit den Sinnen wahrgenommenen schönen Dingen nicht aufhalten. Ιn der Schau, in der Theorie, wozu die schönen Dinge als Abbilder, Spuren und Schatten den Betrachter anleiten[15], wird das Schöne zum Wegweiser der zeit- und raumlosen Schönheit[16].

Man versteht Augustins Lehre über die Kunst und über den Kunstgenuss nur vor dem Hintergrund der hier in der gebotenen Kürze dargestellten Enneade 1,6, die Plotins frühphilosophisch religiös und metaphysisch bestimmtem Denken angehört[17]. Deren Lektüre musste den vor seiner Bekehrung stehenden Rhetor ungemein fasziniert und infolgedessen auch seine Auffassung von der Kunst und vom Kunstschaffen entscheidend beeinflusst haben. Beides, so erklärt er im Frühdialog De ordine – Über die Ordnung, ist nur geistbegabten Wesen eigen, und dies unterscheidet den Menschen von allen übrigen Gattungen der Lebewesen auf Erden. Die Schwalbe, so führt er aus, baue ihr Nest zwar mit einer Fertigkeit sondergleichen, aber in dieser staunenswerten, jedoch stereotypen Technik zeige sich zugleich ihr auf das Fehlen von Intelligenz zurückzuführendes künstlerisches Unvermögen. Ähnliches müsse von der ihre Waben nach mathematischen Proportionen bauenden Biene gesagt werden. Tiere agieren unwissend und instinktiv: «nescientes ... operante natura». Der kunstschaffende Mensch übertrifft sie nicht an der Anzahl der zu schaffenden Objekte, wohl aber an Erkenntnis der dem Kunstschaffen zugrunde liegenden Zahlen, «non ... numerosa faciendo, sed numeros cognoscendo»[18].

Augustin gibt sich indes mit dieser Unterscheidung zwischen Tier und Mensch in Sachen Kunstverständnis noch nicht zufrieden. Da der Umgang mit der Kunst seiner Auffassung nach theoretische Einsichten erfordert, hält er auch beim Menschen eine allein auf Erfahrung und technischem Vermögen aufruhende Kunstausübung keineswegs für hinreichend, um bei einem über solche Fertigkeit verfügenden Menschen von Kunstsinn reden zu können. Er nennt deshalb diese Art künstlerischen Agierens eine ‹ars uulgaris›, eine vulgäre Kunst, die er von der Kunst als Disziplin scharf abhebt[19]. Ein Sänger z.B. sei dank seines Harmoniegefühls auch dann imstande, richtig zu singen, wenn er von den Gesetzmäßigkeiten der Musik nichts verstünde. Er singe gegebenenfalls sozusagen von Natur aus, ‹operante natura›, und nicht selten ohne jeglichen Sachverstand.

Mustergültig entfaltet Augustin sein Verständnis von Kunst in dem bereits erwähnten Unterrichtswerk Über die Musik[20]. Musik sei, so definiert er dort, «das Wissen um das richtige Gestalten»[21] sowie «das Wissen um die richtige Bewegung»[22]. Richtiges Gestalten (‹modulare›) wird durch das Maß (‹modus›) bestimmt, das sich in der Bewegung kundtut[23]. Den Kunstcharakter der Musik erblickt somit Augustin im Anschluss an die neupythagoreisch-neuplatonische Tradition in den dieser zugrundeliegenden mathematischen Verhältnissen, denn rechnerisch unanfechtbare Bewegungen machen diese zu einer Wissenschaft (‹scientia›). Er nennt die Musik deshalb auch eine «disciplina quae est de numeris»[24]. Von diesen Zahlen sind die einen, in der Regel ‹sensuales› genannt, in der gehörten Musik deshalb nachzählbar, weil sie rein rationalen Zahlen, sogenannten ‹numeri rationis›, die als ‹numeri iudiciales› die Gesetze der Musik bestimmen, folgen[25].

Gleiches gilt von den übrigen Künsten, schuf doch Gott als der Künstler, der ‹deus artifex› «alles nach Maß, Zahl und Gewicht», las Augustin in der Bibel (Wei 11,20)[26]. Was immer uns an Körpern entzückt, ist zahlenmäßig bestimmt. «Sie (die Körper) haben Formen, weil sie Zahlen haben. Nimm ihnen diese weg, und sie werden nicht mehr vorhanden sein», heißt es in der noch zum Frühwerk zählenden Schrift Über den freien Willen[27]. Dort lehrt Augustin von allen Künstlern, die Körperhaftes gestalten, dass sie sich in ihrem Schaffen gleichfalls von Zahlen leiten lassen, die sie mit den Augen ihres Geistes schauen, denen sie bei der Kunstausführung bis in die Bewegung ihrer Glieder folgen.

«Betrachte die Schönheit eines gestalteten Körpers: Zahlen sind im Raum eingefangen. Betrachte die Schönheit einer Bewegung im Körper: Zahlen wirken in der Zeit. Nun betrete die Kunst als Disziplin, die sie hervorbringt; suche Zeit und Raum in ihr: Niemals und nirgends wirst du sie finden, und dennoch lebt in ihr die in einem unausgedehnten Reich und in einem zeitlosen Alter wesende Zahl»[28]. So lange schafft der Künstler an seinem Werk, bis er damit zufrieden ist und sagen kann, es sei vollkommen – vollkommen im Sinne möglicher Annäherung an die im Geiste geschauten Kunst[29].

An diesem nicht nur qualitativen, sondern essentiellen Unterschied zwischen der Kunst und dem Kunstwerk wird Augustin sein Leben lang festhalten. Eine von einem Handwerker angefertigte Lade, so führt er noch Jahrzehnte später aus, kann morsch werden, nicht dagegen die rein begrifflich vorzustellende Kunst, dank derer Kunstwerke überhaupt angefertigt werden können. Letztere wohnt zeitenthoben in der Seele der Künstler und vermag immer und immer wieder aufs neue in endlosen Variationen von Kunstwerken in Erscheinung zu treten[30].

Wie die Platoniker, so können wir resümierend sagen, stellt auch Augustin die Kunst als ein streng rationales Bezugssystem von Zahlen jedwedem vergänglichen Kunstwerk gegenüber. Mit ihnen hält er an ihrer Transzendentalität fest. Unvergleichlich schöner ist sie dort als in jedwedem noch so vollkommen ausgeführten Kunstwerk. Sie hat nach seiner neuplatonisch idealistischen Ontologie ein in der Transzendenz gründendes Prä und kann infolgedessen von keinem Künstler eingeholt werden. Der Kirchenvater kann nicht genug betonen: Kunstwerke sind vergänglich, die Kunst selbst ist dies ganz und gar nicht[31].

3. Der Kunstgenuss

Diesem ausgeprägt rationalen Kunstverständnis Augustins korrespondiert seine Auffassung vom Kunstgenuss, die von einem Genuss der Sinne tunlichst absieht. Abermals bestimmen philosophische Theorien die einschlägige Lehre. Sie lassen sich an der Erkenntnistheorie sowie an der Ethik des Kirchenvaters aufzeigen[32]. Die augustinische Erkenntnislehre hat die ebenfalls auf die Platoniker zurückgehende Verhältnisbestimmung von Seele (eigentlich Geistseele, ‹anima rationalis›)[33] und Leib (‹corpus›)[34] zur Voraussetzung. Der zufolge befinden sich die rationale Seele und der materielle Leib auf verschiedenen Stufen des Seins. Dank ihrer rationalen Natur steht die Geistseele unter allen Geschöpfen Gott am nächsten[35]. Sie ist unvergleichlich besser als der Leib und behält diesem gegenüber die Oberherrschaft[36]. Gewiss sind die Sinnesorgane im Bereich des Leibes angesiedelt, sie stehen aber, weil von der Seele belebt, in deren Dienst.

Nicht nur das Erkennen (‹cognoscere, intellegere›), auch das Wahrnehmen mit Hilfe der Sinne (‹sentire›) ist Sache der Seele (‹actio animae›). Nicht das Auge, sondern die Seele sieht mittels der Augen, die Seele hört auch mittels der Ohren. Objekte im Außenbereich (‹foris›) wirken zwar auf den Leib ein, aber die Seele empfindet dies, indem sie drinnen (‹intus›) das Geschehen im Bereich der Sinne aufmerksam verfolgt[37]. Ja, die Seele wird umso mehr auf der Hut sein, als ihr die Unzuverlässigkeit der Sinneswahrnehmung bekannt ist[38], was sie mit ihrer Vernunft überprüft.

Was nimmt die Seele über die Sinne wahr, wenn nicht Gestaltetes und Geformtes an veränderlichen Dingen[39]. Da diese Dinge nach der neuplatonischen Ontologie Augustins ihre jeweilige Gestalt und Form ihrer in der Transzendenz gründenden unveränderlichen Gestalt (‹species›) und Form (‹forma›) verdanken[40], an der sie teilhaben[41], die sie jedoch stets nur mangelhaft abbilden[42], wird die Geistseele, deren adäquater Erkenntnisstoff das geistig Seiende ist, sich mit der Wahrnehmung des Gestalteten und Geformten allein nicht zufrieden geben. Sie wird aber die Wahrnehmung als Antrieb benützen, um zur Schau der Gestalt und der Form selbst zu gelangen. In zahlreichen Texten demonstriert Augustin den Weg des Geistes, der über die Wahrnehmung des Gestalteten und Geformten zur Erkenntnis der mit den unveränderlichen Zahlen identischen reinen Gestalt und reinen Form in der Transzendenz führt[43]. Erkennen hat das Unveränderliche (‹immutabilitas›), die Einheit (‹unitas›), die Wahrheit (‹ueritas›), das höchste Gut (‹summum bonum›), und die Schönheit (‹pulchritudo›), letzten Endes Gott als Inbegriff all dieser transzendenten Gegenstände zum Ziel[44].

Die von den Platonikern angenommene Aufteilung des Seienden in Veränderliches und Unveränderliches und die radikale Unterordnung alles Veränderlichen unter das Unveränderliche bestimmen auch Augustins Ethik, die darüber hinaus weithin der von den Neuplatonikern ebenfalls noch geteilten Lehre von der gestuften Ordnung aller Dinge, dem ‹ordo rerum›, verpflichtet ist[45]. Danach befindet sich der mit Willensfreiheit ausgestattete Mensch in der Mitte dieses ‹ordo› und zugleich in einem Geflecht von Beziehungen zu dessen Teilen über und unter ihm[46]. Diese Beziehungen wecken Bedürfnisse, deren Stillung an die Weisungen des der kosmischen Ordnung innewohnenden zeitlosen Ge­setzes, der ‹lex aeterna›, gebunden ist[47]. Den Weisungen dieses Geset­zes zufolge sind die Dinge innerhalb der vorgegebenen Ordnung entwe­der zum Genuß (‹frui›) oder zum Gebrauch (‹uti›) bestimmt[48] – zum Genuss die unveränderlichen Dinge, die ‹res aeternae›, die um ihrer selbst willen zu erstreben sind, zum Gebrauch die veränderlichen Dinge, die ‹res temporales›, die zur Erlangung der zum Genuss bestimmten verhelfen sollen. Wir sprechen zwar vom Genießen auch in bezug auf den Gebrauch zeitlicher Dinge, aber dies ist nicht sachgerecht, stellt Augustin in De doctrina christiana 1,37 fest, denn die zum Genuss bestimmten Dinge müssen zeitlosen Bestand haben.

Dieses Schema aus der Ethik überträgt Augustin auch auf seine Ästhetik. Kunst zielt zweifelsohne auf Genuss, nur verwendet der Kirchenvater dafür nicht die Begriffe ‹frui› und ‹fruitio›[49], sondern bevorzugt ‹delectare› und ‹delectatio›[50]. Obgleich Augustin die beiden letztgenannten Vokabeln nicht ausschließlich der Bezeichnung des Kunstgenusses reserviert, so legt er doch denkbar großen Wert darauf, dass im Kontext von der Kunst diesbezüglich terminologische Klarheit herrscht: ‹delectatio rationabilis pulchritudinis – Freude an der geistigen Schönheit› z.B. ist unmissverständlich[51]. Deshalb klärte er bereits erwähnten Frühschrift De ordine den Doppelcharakter des ‹delectatio›-Begriffes. Von der Definition der Vernunft (‹ratio›) ausgehend[52], bestimmt er als ‹rationale›, was sich der Vernunft bedienen kann, als ‹rationabile› hingegen, was durch die Vernunft getan oder gesagt wird. Letzteres wird den Dingen der Natur abgesprochen[53]. Ein anderes ist demnach die ‹carnalis delectatio› der Sinne, ein anderes die ‹delectatio rationis› der Geistseele, die sich, wie eingangs erwähnt, der Künste bedient, um den Aufstieg aus der Welt der Sinne in die des Geistes zu vollziehen.

Der frühe Augustin, so haben wir gesehen, macht das Wesen der Kunst an den Zahlen und Zahlenverhältnissen fest. Gewiss bewirkt deren Ausführung in der Architektur z.B. oder in der Musik im Betrachter oder im Hörer einen Genuss[54], aber Augustin geht entweder geringschätzend darüber hinweg, oder er ‹benützt› das Gesehene oder Gehörte ganz im Sinne von ‹uti – Gebrauchen› – heute würden wir sagen, er instrumentalisiert das Kunstwerk, um als Wahrnehmender über das Wahrgenommene hinweg zur ‹fruitio – Genuss› im erwähnten Sinn bzw. zur ‹delectatio mentis – geistigem Ergötzen› zu gelangen. Hilfreiche Parallelen findet er abermals im biblischen Schöpfungsglauben. Wie über seine Werke in der Schöpfung spricht Gottes Weisheit auch über ein Kunstwerk den Betrachter an und ruft ihm zu, sich nicht ins Äußere zu verirren, sondern sich ins Innere zurückzuziehen[55], um das wahrgenommene Werk dort anhand der im Geist geschauten unveränderlichen Gesetze der Schönheit, der ‹pulchritudinis leges›, zu beurteilen[56]. Im Vollzug der Befähigung, dies zu tun, kommt es zum Kunstgenuss.

Die Höherwertigkeit des sinnenenthobenen Kunstgenusses gegenüber dem sinnlich vermittelten resultiert aus der dargestellten Lehre vom gestuften ‹ordo rerum›. Der Kunstverständige orientiert sich bei der Beurteilung eines Kunstwerkes nicht am Stoff – im Bilde der gestuften Ordnung des Kosmos: von der Mitte betrachtet unten –, sondern am Geist – im Bilde wieder: von der Mitte betrachtet oben. Solcher Kunstgenuss bewirkt zugleich ein Ordnen der Seele, wozu Augustin den Leser von De musica ermuntert. Wer sich im Rahmen des vorgegebenen ‹ordo› nicht von ‹unten› (‹deorsum›) bestimmen läßt, den Genuß vielmehr ausschließlich ‹oben› (‹sursum›) sucht, der findet zugleich das Gleichgewicht seiner Seele, «denn der (recht verstandene) Kunstgenuss ordnet die Seele»[57]. Einen zur Gewohnheit gewordenen, geistlosen Umgang mit der Kunst, der über die Sinne nicht hinaus führt, bringt Augustin mit dem Sündenfall in einen Zusammenhang. Er ist dessen Folge. Durch die Einübung in den Genuss geistiger Dinge könne jener Zustand zwar nicht behoben, jedoch erheblich eingedämmt werden. Diese Verknüpfung der Ästhetik mit der Ethik ist nicht nur für den jungen Augustin, sondern auch für den späten charakteristisch[58].

4. Die Kunst im Dienst der Verkündigung

Augustin hatte wache Sinne. Sein Biograph Possidius hielt es immerhin für erwähnenswert, dass der greise Bischof mit ungeschwächtem Augenlicht und Gehör entschlief[59]. Er war ein Ästhet, und Themen der Ästhetik durchziehen unter wechselnden Gesichtspunkten sein ganzes schriftstellerisches Schaffen[60]. Dem aufmerksamen Leser seiner Werke wird eine gewisse Spannung in der Darstellung der Kunst und des Kunstgenusses nicht entgehen. Dies dürfte mit der Vertiefung in die Lehre der Bibel insbesondere des reifen Augustinus zusammenhängen.

Bei aller Betonung des Vorranges der Gotteserkenntnis, der Gotteserfahrung und des Gottgenießens beurteilen biblische Schriftsteller Gottes Werke in Raum und Zeit, damit freilich indirekt auch des Menschen Werke positiver als die Neuplatoniker. Verständlicherweise redet der Seelsorger Augustinus nicht mehr vordergründig von der Kunst und vom Kunstgenuss. Sein pastorales Anliegen, wozu ihm der Psalter eine Fülle von Anregungen gab, ist das Gotteslob. In den Psalmen las er die vielfache Aufforderung, Gottes Geschöpfe sollen ‹den Herrn preisen› (vgl. Psalm 145,10).

Wie erwähnt, verglich Augustin den Schöpfer gerne mit einem Künstler und Gottes Geschöpfe mit Werken eines Künstlers. So ist es auch verständlich, wenn er Gottes Werke im einzelnen wie im ganzen im Horizont seiner Hermeneutik, die auch sein Kunstverständnis prägt, auslegt (Hermeneutik = Kunst der Auslegung). Nach dem Grundprinzip dieser Hermeneutik verweist alles Veränderliche auf das Unveränderliche, das für Augustin letztlich mit dem sich auch in seinen Geschöpfen offenbarenden Schöpfer identisch ist[61]. Im Römerbrief sah er dieses sein hermeneutisches Grundprinzip bestätigt. Dort las er 1,19f.: «Was man von Gott erkennen kann, ist ihnen (den Menschen) offenbar; Gott hat es ihnen offenbart. Seit Erschaffung der Welt wird seine unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen, seine ewige Macht und Gottheit»[62]. Es ist interessant zu sehen, wie Augustin versucht, Rm 1,19f. interpretatorisch gerecht zu werden, wie er aber auch darin seiner rationalen Ästhetik treu bleibt. Es bereitet ihm keine Probleme, die Werke des Schöpfers nicht nur schön, sondern sogar eine ‹große Schönheit – magnam pulchritudinem› zu nennen, aber es würde ihm Probleme bereiten, wollte jemand bei dieser Art Schönheit verweilen[63].

Die Versenkung in die Schönheit der veränderlichen Dinge der Welt, in die ‹pulchritudo mundi huius›, wird bei dem in die Bibel sich vertiefenden Künstler Augustin zum unverzichtbaren Vehikel der Gotteserkenntnis, der Gotteserfahrung und auch des Gottgenießens. Sprachlich unerreicht beschreiben dies seine Confessiones. Sie selbst sind ein Kunstwerk von höchstem literarischen Rang und stellen indirekt zugleich mustergültig dar, wie ihr Verfasser sie einschätzte und wie er sie pastoral einsetzte. In seinen ebenfalls schon erwähnten Retractationes bemerkt er zu diesem einmaligen Werk der Weltliteratur[64], er habe mit seinen Bekenntnissen Intellekt und Affekt des Menschen auf Gott hin lenken wollen. Bei ihm selbst hätten diese, schon als er sie schrieb, dies bewirkt, und sie bewirkten es immer noch, so oft er sie lese. Was andere dabei empfänden, überlasse er dem Leser. Er wisse jedoch, so fügt er hinzu, dass sie vielen gefallen hätten und immer noch gefielen[65].

Im zehnten Buch dieser Confessiones schildert er ausführlich die Schönheit der Kreaturen zunächst draußen, Stufe um Stufe, sodann auch drinnen, in den weiten Hallen seines Gedächtnisses, seiner ‹memoria›. Er befragt sie alle, ob sie Gott seien, bei dem sein suchender Geist Frieden finde, sie antworten: «Nein, wir sind nicht dein Gott; suche über uns».

Der Künstler Augustin gestaltet dieses ästhetische Abtasten des ‹ordo rerum› zu einer ‹peregrinatio›, zu einer Reise seiner Seele, und er zeigt schließlich, wie diese Gott, den Inbegriff aller Schönheit nicht draußen, sondern in den Tiefen ihrer Innerlichkeit als den Transzendenten finden kann – und wie er, Augustin, diesen Gott gefunden hat. Er besingt dann Gottes alte und ewig neue Schönheit: «Spät habe ich dich geliebt, du Schönheit, so alt und so neu, spät habe ich dich geliebt. Und siehe, du warst drinnen, und ich war draußen, und dort suchte ich dich. Und mißgestaltet warf ich mich der Wohlgestalt in die Arme, die du geschaffen hast. Du warst mit mir, und ich war nicht bei dir. Weit hielten mich von dir die Dinge, die nicht wären, wenn sie nicht in dir wären. Doch du hast laut gerufen und meine Taubheit zerrissen; du hat geblitzt und gestrahlt und meine Blindheit in die Flucht geschlagen; du hast geduftet, und ich atmete ein und lechze jetzt nach dir; ich habe gekostet, nun hungere und dürste ich; du hast mich berührt, und so bin ich entbrannt nach deinem Frieden»[66].

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[1] Augustin differenziert zwar zwischen ‹artes› und ‹disciplinae›, er hält diese Unterscheidung aber nicht durch und gebraucht die Begriffe promiscue. Zu den ‹artes› in der Antike I. Hadot, Arts liberaux et philosophie dans la pensée antique, Paris 1984.

[2] Zur Siebenzahl der Disziplinen und deren Ordnung im Gesamtwerk Augustins W. Hübner, Die artes liberales im zweiten Buch von De ordine: Augustinus (FS Oroz Reta) 39 (1994) 317-344.

[3] Retractationes 1,5,6. Zum varronischen oder neuplatonischen Einfluss W. Hübner 322, Anm. 29.

[4] Seine Absicht, einen zweiten Teil über die Melodie zu schreiben, bezeugt die Epistula 101,3 an Bischof Memorius: « ... quando conscripsi de solo rhythmo sex libros et de melo scribere alios forsitan sex, fateor, disponebam». De facto handelt De musica vom Metrum, vom Rhythmus und vom Vers.

[5] Neben manichäischen dürften wohl auch platonische, ciceronianische, stoische und neupythagoräische Gedanken zu nennen sein; vgl. C. Harrison, Beauty and revelation in the thought of Saint Augustine, Oxford 1992, 4 mit Literatur.

[6] Confessiones 4,20.

[7] Ib. 4,24. Siehe dazu die Interpretation bei K. Svoboda, L’esthétique de saint Augustin et ses sources, Brno 1933, 10-16.

[8] Confessiones 7,13; siehe C.P. Mayer, Die Zeichen in der geistigen Entwicklung und in der Theologie des jungen Augustinus, Würzburg 1969, 127-140.

[9] De Isaac 8,78. Zur Vermittlung der neuplatonischen Philosophie über Ambrosius und über den Kreis um den Bischof von Mailand siehe Confessiones 7,13 und P. Courcelle, Recherches sur les Confessions de saint Augustin, Paris 21968, 106-138.

[10] Von den schönen Dingen sagt Plotin 1,6,2: μετοχῇ εἴδους φαμὲν ταῦτα.

[11] Ib. 1,6,3: εἴδωλα καὶ σκιαὶ ἐκδραμοῦσαι.

[12] Ib.1.6,9: ἄναγε ἐπὶ σαuτὸν καὶ ἴδε.

[13] Ib. 1,6,4: ἄτε ἀληθινῶν.

[14] Ib. 1.6,6: ὅτι τότε ἐστὶν ὄντως μόνον ψυχή.

[15] Ib. 1,6,8: ὥς εἰσιν εἰκόνες καὶ ἴχνη καὶ σκιαί.

[16] Ib. 1,6,9: πλὴν ἐκεῖ τὸ καλόν, lautet das plotinische Resümee.

[17] J. Barion, Plotin und Augustin. Untersuchungen zum Gottesproblem, Berlin 1935, 55 f.

[18] De ordine 2,49.

[19] Er definiert sie in De uera religione 54: «ita reperitur nihil esse aliud artem uulgarem, nisi rerum expertarum placitarumque memoriam usu quodam corporis atque operationis adiuncto, quo si careas iudicare de operibus possis, quod multo excellentius, quamuis operari artificiosa non possis». Ähnlich schon Platon in Gorgias 463b und Ion 541e-542b sowie Cicero in De oratore 1,108 f.; 2,216 nach K.-H. Lütcke, Ars: Augustinus-Lexikon 1 (1986-94) Sp. 459-465 Anm. 4.

[20] Umfassende Darstellung bei A. Keller, Aurelius Augustinus und die Musik. Untersuchungen zu «De musica» im Kontext seines Schrifttums, Würzburg 1993.

[21] De musica 1,2: «musica est scientia bene modulandi». Zur varronischen Herkunft dieser Definition siehe K. Svoboda 67 und H.-I. Marrou, Saint Augustin et la fin de la culture antique, Paris 41958, 199.

[22] Ib. 1,3: «ergo scientiam modulandi iam probabile est esse scientiam bene mouendi».

[23] Vgl. A. Keller 77.

[24] De musica 1,22. Siehe den aufschlussreichen Aufsatz von A. Schmitt, Zahl und Schönheit in Augustins De musica, VI: Würzburger Jahrbücher für Altertumswissenschaft, N.F. 16 (1990) 221-237; zum varronisch-neupythagoreischen Charakter dieser Zahlenspekulation W. Hübner 319; zum ontologischen Grund der Zahl für alles Seiende bei Augustin W Beierwaltes, «Aequalitas numerosa». Zu Augustins Begriff des Schönen: Wissenschaft und Weisheit 38 (1975) 140-157.

[25] Besonders im 6. Buch von De musica analysiert Augustin die unterschiedlichen Zahlen und deren prinzipielle Zweiteilung in ‹numeri temporum› und in ‹numeri rationis›. In De musica 6,2-22 werden die ‹numeri sonantes›, die ‹occursores›, die ‹recordabiles› und die ‹progressores› als ‹sensuales› zu den ‹numeri temporum› gezählt; von ihnen scharf abgehoben sind die ‹numeri iudiciales› als die ‹numeri rationis›.

[26] Enarrationes in Psalmos 41,7: « ... quid agam, ut inueniam deum meum? considerabo terram: facta est terra. est magna pulchritudo terrarum; sed habet artificem». Siehe C. Mayer, Creatio, creator, creatura: Augustinus-Lexikon 2 (1996-2002) Sp. 56-116, sowie die dort zitierte ungedruckte Dissertation von A.F. Müller, Ars divina. Eine Interpretation der Artifex-Deus-Lehre des heiligen Augustinus, München 1955.

[27] De libero arbitrio 2,42: «formas habent quia numeros habent; adime illis haec, nihil erunt».

[28] Ib.: «inspice iam pulchritudinem formati corporis: numeri tenentur in loco; inspice pulchritudinem mobilitatis in corpore: numeri uersantur in tempore; intra in artem unde isti procedunt, quaere in ea tempus et locum: numquam erit, nusquam erit, uiuit in ea tamen numerus nec eius regio spatiorum est nec aetas temporum».

[29] In De Genesi aduersus Manicheos 1,13 vergleicht Augustin das Schaffen des Schöpfers mit einem Holz modellierenden ‹homo artifex›: «miseri homines, quibus displicet, quod deo placuerunt opera sua, cum uideant etiam hominem artificem, uerbi gratia, lignarium fabrum, quamuis in comparatione sapientiae et potentiae dei pene nullus sit, tamen tam diu lignum caedere atque tractare dolando, asciando, planando, uel tornando atque poliendo quousque ad artis regulas perducatur, quantum potest, et placeat artifici suo. numquid ergo quia placet ei quod fecit, ideo non nouerat bonum? prorsus nouerat intus in animo, ubi ars ipsa pulchrior est, quam illa quae arte fabricantur. sed quod uidet artifex intus in arte, hoc foris probat in opere, et hoc est perfectum quod artifici suo placet».

[30] In lohannis euangelium tractatus 1,17: «faber fecit arcam. primo in arte habet arcam: si enim arcam non haberet, unde illam fabricando proferret? sed arca sic est in arte, ut non ipsa arca sit, quae uidetur oculis. in arte inuisibiliter est, in opere uisibiliter erit. ecce facta est in opere; numquid destitit esse in arte? et illa in opere facta est, et illa manet quae in arte est: nam potest illa arca putrescere, et iterum ex illa quae in arte est alia fabricari. adtendite ergo arcam in arte, et arcam in opere. arca in opere non est uita, arca in arte uita est; quia uiuit anima artificis, ubi sunt ista omnia antequam proferantur».

[31] In Iohannis euangelium tractatus 37,8: «et si domus ruat, ars manet».

[32] Augustin befasst sich mit erkenntnistheoretischen Fragen vorzüglich in De musica 6; De uera religione 33-36; De Genesi ad litteram 12; De trinitate 9. Ihre beste Darstellung bietet immer noch B. Kälin, Die Erkenntnislehre des hl. Augustinus, Sarnen 1920; empfehlenswert ist auch E. Gilson, Introduction a l’étude de saint Augustin, Paris 21943, 71-137 = Der heilige Augustin. Eine Einführung in seine Lehre, Hellerau 1930, 105-190. Über die Ethik Augustins informiert umfassend J. Mausbach, Die Ethik des heiligen Augustinus 1-2, Freiburg 21929.

[33] Zur Terminologie ‹anima›, ‹animus›, ‚‹anima rationalis›, ,‹anima irrationalis› bei Augustinus G.J.P. O’Daly, Anima, animus: Augustinus-Lexikon 1 (1986-1994) Sp. 315-340, speziell Sp. 313 f.

[34] Zum Leib und dessen Verhältnis zur Seele M.R. Miles, Augustine on the Body, Missoula, Montana 1979; dieselbe, Corpus: Augustinus-Lexikon 2 (1996-2002) 6-20.

[35] De quantitate animae 77: «quemadmodum fatendum est, animam humanam non esse, quod deus est, ita praesumendum nihil inter omnia, quae creauit, deo esse propinquius».

[36] De musica 6,8: «numquam enim anima est corpore deterior», und ib. 6,12: «corpus semper minus quam ipsa (sc. anima)» sowie ib. 6,9: «ego enim ab anima hoc corpus animari non puto, nisi intentione facientis».

[37] In De musica 6,9 deutet Augustin das Empfinden (‹sentire›) als ein Geschehen, das der Seele nicht verborgen bleibt: «cum eam non latet, sentire dicitur».

[38] In der Frühschrift Contra Academicos 3,26 widerlegt Augustin die These der Skeptiker von der Unzuverlässigkeit der Sinneswahrnehmung mit dem Argument, Wahrnehmung sei nicht Sache der Sinne, sondern der Seele; cf. auch De uera religione 61-67.

[39] Veränderliche Dinge bestehen aus der gestalteten, die Veränderung verursachenden reinen Materie. Von ihr sagt Augustin in den Confessiones 12,6, sie ist gleichsam die «mutabilitas ... rerum mutabilium» und als solche ist sie «ipsa capax ... formarum omnium, in quas mutantur res mutabiles». Ihre Aufgabe ist es, «ut species caperet istas uisibiles et compositas».

[40] Augustin entfaltet diese platonische Lehre von der Idee und der Teilhabe der Dinge an den Ideen in der Quaestio 46 seiner Schriftensammlung De diuersis quaestionibus octoginta tribus, in der er Platons Lehre sogleich christlich interpretiert. Siehe dazu die Monographie von J. Ritter, Mundus intelligibilis. Eine Untersuchung zur Aufnahme und Umwandlung der neuplatonischen Ontologie bei Augustinus, Frankfurt a.M. 1937.

[41] Siehe G. Koch, Augustins Lehre von der Teilhabe. Untersuchungen zur Bedeutung des participatio-Begriffes im Werke des hl. Augustinus, Dissertation Freiburg 1958 (maschinenschriftl.).

[42] Körper weisen neben der Ähnlichkeit (‹similitudo›) zu ihrem Urbild immer auch ein gehöriges Maß an Unähnlichkeit (‹dissimilitudo›) auf. Sie streben zwar nach Identität mit dem, was sie abbilden und ohne das sie nicht im Sein zu bleiben vermögen, aber sie können ihre transzendente Vorlage nie einholen. Siehe C. Mayer, Die Zeichen 271-284.

[43] De libero arbitrio 2,41: «si ergo, quidquid mutabile aspexeris, uel sensu corporis uel animi consideratione capere non potes, nisi aliqua numerorum forma teneatur, qua detracta in nihil recidat, noli dubitare, ut ista mutabilia non intercipiantur, sed dimensis motibus et distincta uarietate formarum quasi quosdam uersus temporum peragant, esse aliquam formam aeternam et incommutabilem, quae neque contineatur et quasi diffundatur locis neque protendatur atque uarietur temporibus, per quam cuncta ista formari ualeant et pro suo genere implere atque agere locorum ac temporum numeros».

[44] Enarratio in Psalmos 32,2,1,7: «sapientia dei quam pulchritudinem habet? per illam pulchra sunt omnia, quae oculis placent». Augustin interpretiert diese ‹pulchritudo› oft trinitätstheologisch als «pulchritudo quae est in forma dei», so ib. 103,1,6.

[45] Siehe die Darstellung von J. Rief, Der Ordobegriff des jungen Augustinus, Paderborn 1962.

[46] Enarrationes in Psalmos 144,7; «qui enim fecit omnia, ipse nos fecit inter omnia».

[47] In Contra Faustum 22,27 definiert Augustin: «lex uero aeterna est ratio diuina uel uoluntas dei ordinem naturalem conseruari iubens, perturbari uetans».

[48] Augustin verbindet die beiden Begriffe zu einem Schema (‹uti-frui›). Wichtige Texte dazu: De diuersis quaestionibus octoginta tribus 30; De doctrina christiana 1,3 f.; De trinitate 10,17. Zum Begriffspaar siehe die beiden Aufsätze von R. Lorenz, Fruitio dei bei Augustin: Zeitschrift für Kirchengeschichte 63 (1950/51) 75-132; Die Herkunft des augustinischen Frui Deo: ib. 64 (1952/53) 34-60.

[49] Siehe H. Chadwick, Frui-uti: Augustinus-Lexikon 3 (2004) 70-75.

[50] Siehe C. Mayer, Delectatio: Augustinus-Lexikon 2 (1996-2002) 267-285.

[51] De ciuitate dei 22,30.

[52] Im Anschluss an Ciceros De officiis 1,4,11 definiert er in De ordine 2,30: «ratio est mentis notio ad ea, quae discuntur, distinguendi connectendi potens».

[53] Ein süßes Getränk, das dem Menschen Genuss (‹delectatio›) bereitet, schmeckt nicht vernunftgemäß, heißt es in De ordine 2,32.

[54] Vgl. De musica 6,23.

[55] Augustin spricht von einem inneren Organ und besingt die ‹pulchritudo intrinsecus› wiederholt in seinen Predigten, wie z.B. in den Enarrationes in Psalmos 44,29: «intus amat, intus ametur qui interiorem facit et ipsam pulchritudinem». Ib. 96,19: «est enim oculus unde illa pulchritudo uideatur. nam quomodo oculus carnis, unde lux ista uideatur, sic est oculus cordis». Siehe F. Körner, Das Prinzip der Innerlichkeit in Augustins Erkenntnislehre, Dissertation Würzburg 1952 (maschinenschriftl.).

[56] De libero arbitrio 2,41: «quoquo enim te uerteris, uestigiis quibusdam quae operibus suis inpressit loquitur tibi (sc. sapientia) et te in exteriora relabentem ipsis exteriorum formis intro reuocat, ut, quidquid te delectet in corpore et per corporeos inlicit sensus, uideas esse numerosum et quaeras unde sit et in te ipsum redeas atque intellegas te id quod adtingis sensibus corporis probare aut inprobare non posse, nisi apud te habeas quasdam pulchritudinis leges ad quas referas quaeque pulchra sentis exterius».

[57] De musica 6,29: «ita deo et domino nostro opitulante ordinemus, ut inferioribus non offendamur, solis autem superioribus delectemur. delectatio quippe quasi pondus est animae. delectatio ergo ordinat animam».

[58] W. Hübner 332.

[59] Possidius, Vita Augustini 31 (Ausgabe: M. Pellegrino, Possidio, Vita di s. Agostino, Alba 1955).

[60] Neben der Arbeit von K. Svoboda, deren Analysen sich auch auf die späteren Schriften erstrecken, siehe die schon erwähnte jüngere von C. Harrison, der die Aufmerksamkeit des Lesers bewusst auf den späteren Augustin lenkt, ferner K.-H. Lütckes Artikel im Augustinus-Lexikon.

[61] Augustin entfaltet die Prinzipien seiner Hermeneutik in der Schrift De doctrina christiana 1. Dazu C. Mayer, Prinzipien der Hermeneutik Augustins und daraus sich ergebende Probleme: Forum Katholische Theologie 1 (1985) 197-211.

[62] Siehe vor allem De doctrina christiana 1,4 sowie Confessiones 10,10; dazu G. Madec, Connaissance de Dieu et action de grâces. Essai sur les citations de l’Ép. aux Romains I,18-25 dans l’œuvre de saint Augustin: Recherches Augustiniennes 2 (1963) 273-309.

[63] So im Anschluss an Ps 145,10 «confiteantur tibi, domine, omnia opera tua» in Enarrationes in Psalmos 144,13: «quia cum eam (sc. ordinatissimam pulchritudinem) consideras et pulchram uides, tu in illa laudas deum. uox quaedam est mutae terrae, species terrae, adtendis et uides eius speciem, uides eius fecunditatem, uides eius uires; ... uides, et consideratione tua tamquam interrogas eam; et ipsa inquisitio interrogatio est. cum autem inquisieris admirans, et perscrutatus fueris, et magnam uim, magnam pulchritudinem praeclaramque uirtutem inueneris, quoniam apud se et a se habere hanc uirtutem non posset; continuo tibi uenit in mentem, quia non potuit a se esse, nisi ab illo creatore. et hoc quod in ea inuenisti, uox confessionis ipsius est, ut laudes creatorem, nonne considerata uniuersa pulchritudine mundi huius, tamqam una uoce tibi species ipsa respondet: non me ego feci, sed deus?».

[64] Siehe den Artikel Confessiones von E. Feldmann, Augustinus-Lexikon 1 (1986-94) Sp. 1134-1193.

[65] Retractationes 2,6: «Confessionum mearum libri tredecim et de malis et de bonis meis deum laudant iustum et bonum, atque in eum excitant humanum intellectum et affectum. interim quod ad me attinet, hoc in me egerunt cum scriberentur et agunt cum leguntur. quid de illis alii sentiant, ipsi uiderint; multis tamen fratribus eos multum placuisse et placere scio».

[66] Confessiones 10,38: «sero te amaui, pulchritudo tam antiqua et tam noua, sero te amaui! et ecce intus eras et ego foris et ibi te quaerebam et in ista formosa, quae fecisti, deformis inruebam. mecum eras, et tecum non eram. ea me tenebant longe a te, quae si in te non essent, non essent. uocasti et clamasti et rupisti surditatem meam, coruscasti, splenduisti et fugasti caecitatem meam, flagrasti, et duxi spiritum et anhelo tibi, gustaui et esurio et sitio, tetigisti me, et exarsi in pacem tuam».