Bischof Gregor von Nazianz stellte sich entschlossen Konflikten um grundlegende Glaubenswahrheiten. Ein fiktives Interview im Rahmen einer Kirchenväter-Serie der überregionalen katholischen Wochenzeitung Die Tagespost. VON MICHAEL FIEDROWICZ

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Gregor der Große Dank seiner gründlichen Schriftkenntnis war er vielen Amtsträgern seiner Zeit überlegen. Gregor von Nazianz auf einem Fresko (18. Jh.) im Kloster Simonos Petras auf dem Athos. − Bildquelle: www.heiligenlexikon.de

Verehrter Bischof, Sie haben sich nach einem bewegten Leben zurückgezogen, um Ihre letzten Jahre dem Gebet zu widmen, aber auch weiterhin theologische Werke zu verfassen. Die Zeit Ihres Wirkens als Priester und Bischof in der östlichen Kirche Mitte des vierten Jahrhunderts gleicht trotz des zeitlichen Abstands in vielem der unsrigen. Unermüdlich haben Sie sich für eine Erneuerung der Kirche eingesetzt. Heute wird ebenso eine Reform der Kirche gefordert, in der sich vieles verändern müsse, um den Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein. Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten im Anliegen, wo mögliche Unterschiede im jeweiligen Ansatz?

Als junger Priester, im Jahre 363 in meinem Heimatbistum Nazianz geweiht, sah ich mich sofort hier vor Ort, aber auch im ganzen Umfeld der östlichen Kirche mit massiven Problemen und Missständen konfrontiert, die eine ebenso umfassende wie nachhaltige Erneuerung verlangten.

Sie erlebten eine Spaltung in Ihrem Bistum, für deren Überwindung Sie sich schon kurz nach Ihrer Weihe intensiv einsetzten.

Ja, solche Zerreißproben gab es damals nicht nur in der Region Kappadokien, im zentralanatolischen Hochland, sondern auch andernorts in der östlichen Reichshälfte.

Lassen Sie mich kurz den Hintergrund erklären. Im Jahre 360 hatte Kaiser Konstantius II., ein Sohn Konstantins des Großen, den Bischöfen des Ostens und des Westens die Unterzeichnung eines Glaubensbekenntnisses abverlangt, welches das mühsam erkämpfte Dogma des Konzils von Nizäa 325 preisgab, ja geradezu tabuisierte: Man dürfe nicht mehr bekennen, der Sohn sei von Ewigkeit her mit dem Vater gleichen Wesens, sondern nur noch sagen, er sei ihm irgendwie ähnlich. Jeder konnte unter dieser schwammigen Formel verstehen, was er nur wollte. Ich verglich es einmal mit dem sprichwörtlichen Stiefel, der für beide Füße passt. Genau darauf kam es den politischen Herrschern an: Einigung aller Bischöfe des Römischen Reiches auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, Ruhe und Frieden in der Kirche um jeden Preis. Auch der Bischof von Nazianz hatte wie fast alle Bischöfe des Ostens diese verfängliche Kompromissformel unterzeichnet.

Nicht ohne sofort auf heftigen Widerstand zu stoßen: Seitens der in seinem Bistum lebenden Mönche erhob sich Protest. Sie wollten weiterhin treu am Bekenntnis von Nizäa festhalten und durchschauten die Gefährlichkeit dieser Neuformulierung des Glaubens in ihrer ganzen Tragweite. Es war ein eklatanter Bruch mit der bisherigen Glaubensüberlieferung.

Ganz richtig. Ich besaß gute Kontakte zu diesen monastischen Kreisen und hatte mich selbst nach Beendigung meiner Studien der Philosophie und Rhetorik eine gewisse Zeit dem asketisch-kontemplativen Leben gewidmet. Da sich gerade aus diesen Reihen Widerstand gegen die willfährigen, staatshörigen und kompromissbereiten Bischöfe erhob, stellte sich mir unweigerlich die Frage: Was haben diese asketisch lebenden Männer den Nachfolgern der Apostel voraus? Warum sind sie in der Lage, die theologische Fragwürdigkeit der neuen Sprachregelungen des Glaubensbekenntnisses zu durchschauen, während die Bischöfe dazu offensichtlich nicht imstande waren?

Das Resultat Ihrer Überlegungen?

Wenn die Hirten aus politischem Kalkül plötzlich völlig neue Positionen in der Glaubenslehre vertreten, geraten die Fundamente der Kirche insgesamt ins Wanken

In einer Rede habe ich es auf den Punkt gebracht. Das damalige Versagen des Episkopats hatte zwar verschiedene Ursachen. Opportunismus oder Feigheit angesichts mancher Einschüchterungsversuche seitens der weltlichen Machthaber spielten gewiss eine Rolle. Vor allem aber war es eine theologische Inkompetenz, die solch einen leichtfertigen Umgang mit dem kostbaren Glaubensgut zur Folge haben musste. Die Mönche hingegen hatten sich jahrelang dem Schriftstudium gewidmet, durch ihr intensives geistliches Leben hatten sie die Glaubenswahrheiten zutiefst verinnerlicht und spürten daher sofort die Gefahren: Wenn die Hirten aus politischem Kalkül plötzlich völlig neue Positionen in der Glaubenslehre vertreten, geraten die Fundamente der Kirche insgesamt ins Wanken. Die Bischöfe waren zu dieser Zeit vielfach nicht theologisch-spirituell auf ihr verantwortungsvolles Amt vorbereitet.

Ihr Heimatbischof zum Beispiel war zuvor Großgrundbesitzer gewesen, hatte Erfahrungen im Staatsdienst gesammelt und war als Patron seiner örtlichen Klientel geschätzt. Vermögen, Ansehen, Einfluss galten vielfach schon als hinreichende Qualifikation für Führungspositionen in der Kirche.

Solange die Kirche keinen gravierenden Herausforderungen gegenüberstand, mochte dies angehen. Doch sobald Kontroversen über die entscheidenden Glaubenslehren entstanden, die eingehendere Kenntnis der Heiligen Schrift und kirchlichen Lehrüberlieferung verlangten, waren diese Männer hoffnungslos überfordert. Sie waren schlechthin nicht in der Lage, die teils diffizilen Fragestellungen zu durchschauen und ein solides Urteil in Glaubensangelegenheiten zu fällen.

Als junger Priester verfassten Sie eine eigene Schrift, Ihre zweite Rede, die als die erste Abhandlung der frühen Kirche über das Priestertum und Bischofsamt gilt. Sie sparen nicht mit scharfer Kritik am Missbrauch des kirchlichen Amts und ungeeigneten Kandidaten, die oft nur Karriere machen wollten oder einfach einen bequemen Lebensunterhalt suchten, als sei das kirchliche Amt, wie Sie schreiben, nicht mit Verantwortung verbunden, sondern ein kontrollfreier Dienst.

Es bedurfte neuer Wege, die das geistliche Potenzial des damals aufblühenden Mönchtums dem kirchlichen Amt zuführten

Daher wollte ich schon als junger Priester eine Programmschrift für dessen Erneuerung vorlegen. Die etablierten Zugangswege erschienen mir völlig unzulänglich angesichts der gegenwärtigen Herausforderungen. Es bedurfte neuer Wege, die das geistliche Potenzial des damals aufblühenden Mönchtums dem kirchlichen Amt zuführten.

Was würden Sie heutigen Bischöfen und Regenten der Priesterseminare empfehlen?

Hebung statt Absenkung des Anforderungsprofils, Askese statt Gruppendynamik, Kontemplation statt Supervision, Vertiefung in die Glaubenslehre statt endloser Sozialpraktika.

Kommen wir zu Ihrer Zeit als Bischof von Konstantinopel. Im Jahre 379 rief Sie eine Handvoll glaubenstreu gebliebener Katholiken in die damalige Reichshauptstadt, um ihr Hirte zu werden. Die Metropole am Bosporus war damals ganz in der Hand der Arianer, die die wahre Gottheit Christi leugneten und von Kaiser Valens unterstützt wurden, der den nizänumstreuen Katholiken sogar jegliche Kirche verwehrte.

Ja, vorerst konnte ich nur in einem Privathaus residieren und die heilige Eucharistie feiern.

Sie gaben Ihrer bischöflichen Kapelle einen besonderen Namen: Anastasia-Kirche. Ein unverkennbarer Anklang an Anastasis, die Auferstehung. Warum diese Bezeichnung?

Mit diesem Titel wollte ich zum Ausdruck bringen: Von diesem Ort aus soll der wahre Glaube, der jahrzehntelang unterdrückt worden war, wieder neu erstehen. Trotz anfänglicher Anfeindungen seitens der Arianer und Störung meiner Gottesdienste scharten sich allmählich mehr und mehr Gläubige um ihren neuen Bischof, um etwas über den wahren Glauben der Kirche zu erfahren.

Was war das Geheimnis Ihrer so erfolgreichen Verkündigung, die letztlich die arianisch dominierte Reichshauptstadt für die nizänische Orthodoxie wiedergewann?

Nichts gilt es so sehr zu fürchten, als dass man irgendetwas mehr als Gott fürchtet und deswegen im Dienst an der Wahrheit Verrat übt an den Worten des Glaubens und der Wahrheit

Entschlossenheit zum Kampf. In meiner zweiten Rede äußerte ich den Wunsch: «Könnte ich doch einer von denen sein, die für die Wahrheit kämpfen und ihretwegen verhasst sind; oder vielmehr, ich werde mich rühmen, einer davon zu sein. Besser ein lobenswerter Krieg als ein Frieden ohne Gott.» In einer anderen Rede sagte ich: «Nichts gilt es so sehr zu fürchten, als dass man irgendetwas mehr als Gott fürchtet und deswegen im Dienst an der Wahrheit Verrat übt an den Worten des Glaubens und der Wahrheit.» Und später nochmals: «Wir halten nicht Frieden auf Kosten des Wortes der Wahrheit, indem wir Zugeständnisse machen, um in den Ruf der Toleranz zu gelangen.» Freimut im Wort und Unbeugsamkeit in der Wahrheit erschienen mir stets als die unabdingbare Grundhaltung eines wahren Priesters und Bischofs.

Mit dieser unbeugsamen Haltung gelang es Ihnen, die Christenheit im Osten für das Glaubensbekenntnis von Nizäa zurückzugewinnen.

Ja, rückblickend habe ich erfahren dürfen: In Treue zum überlieferten Glauben kann auch aus kleinen Anfängen Großes erstehen, im von Irrlehren besetzten Raum kann ein Wiedererstehen des wahren katholischen Glaubens geschehen.

 

Der Autor hat den Lehrstuhl für Kirchengeschichte des Altertums, Patrologie und Christliche Archäologie an der Theologischen Fakultät Trier inne.

 

BIOGRAFIE & LESETIPP

Gregor von Nazianz

326 oder 329/30 in der kleinasiatischen Provinz Kappadokien geboren
363 Priesterweihe in seiner Heimatstadt Nazianz
363/364 kurzzeitiger Rückzug und Abfassung der zweiten Rede (Apologia de fuga sua)
ab 364 Wirken als Priester in Nazianz
372 Bischofsweihe durch Basilius den Großen für das Bistum Sassima in Kappadokien, ohne jedoch das Amt in dieser Diözese jemals anzutreten; Tätigkeit als Koadjutor-Bischof in Nazianz
375 Rückzug nach Seleukia an der kleinasiatischen Südküste
379 Übernahme des Bischofsamtes für die nizänumstreuen Katholiken in Konstantinopel
380 offiziell-kirchliche Ernennung zum Bischof der Reichshauptstadt unter Kaiser Theodosius I.
381 Vorsitzender des Konzils von Konstantinopel, Rücktritt aufgrund kirchenpolitischer Auseinandersetzungen
381–390 zurückgezogenes Leben auf dem Familiengut Arianz bei Nazianz.

 

Lektüreempfehlung

M. Fiedrowicz (Hrsg.): Gregor von Nazianz, Priestertum und Bischofsamt. Apologia de fuga sua (Oratio 2). Mit einer Studie zu Werk und Priesterbild, übersetzt von C. Barthold, Carthusianus-Verlag Fohren-Linden 2019 ISBN: 978-3941862289

Bibliothek der Kirchenväter:
Gregor von Nazianz, Reden
http://www.unifr.ch/bkv/kapitel3183.htm

Fontes Christiani:
Gregor von Nazianz: Theologische Reden, herausgegeben und übersetzt von Hermann-Josef Sieben SJ. Herder, Freiburg, 1996, ISBN: 978-3451239007

© Die Tagespost vom 22.05.2020, Seite 12 (siehe Online-Fassung unter www.die-tagespost.de)

Wir danken der Redaktion der Tagespost und der Johann Wilhelm Naumann Verlag GmbH für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung in unserem Webportal.

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