ZENTRUM FÜR AUGUSTINUS-FORSCHUNG

AN DER JULIUS-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT WÜRZBURG

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Fecisti nos ad te, domine, et inquietum est cor nostrum donec requiescat in te.

Confessiones 1,1

Geschaffen hast du uns auf dich hin, o Herr, und unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir.

Bekenntnisse 1,1

Einführung in das Rahmenthema

Von Professor Dr. Cornelius Petrus Mayer

Augustinus war nicht nur Theologe, Philosoph, Psychologe, Pädagoge – dies sind Berufsfelder, die man mit seinem Namen gerne verbindet –, er war auch Künstler. Das lateinische Wort ‹ars› bezeichnet für Kunst wie das griechische téchne nicht nur handwerkliches Können, sondern auch die schönen Künste, die bildenden Künste, die Wissenschaften. Augustin studierte bekanntlich Rhetorik, die Kunst der Rede, und nach seiner Ausbildung lehrte er an Hochschulen den kunstvollen Umgang mit der Sprache, ehe er in seinem dreißigsten Lebensjahr als Rhetor an den Kaiserhof nach Mailand berufen wurde.

In der Zeit, die er noch als Privatdozent in Karthago verbracht hatte, musste er sich aufs Intensivste auch mit der Ästhetik ganz allgemein beschäftigt haben. Seinen Bekenntnissen zufolge stellte er sich damals Fragen wie, ob wir ‹sonst etwas liebten als das Schöne› oder ‹was überhaupt schön und was Schönheit sei› (4,20). Solche Problemstellungen motivierten ihn zur Abfassung eines Werkes – seines ersten überhaupt – dem er den Titel gab: De pulchro et apto – Über das Schöne und das Angemessene. Ob es zwei oder drei Bücher waren, wusste er zur Zeit, als er die Confessiones schrieb, nicht mehr, denn sie gingen verloren. Offensichtlich war ihm das Thema Ästhetik so wichtig, dass er noch in Mailand den Plan zu einer viele Bände umfassenden Enzyklopädie Über die sieben freien Künste fasste. Sich dieser Künste bedienend sollte der Leser befähigt werden, ‹vom Körperlichen zum Unkörperlichen wie auf gesicherten Stufen aufzusteigen› (retr. 1,6). Der Neubekehrte machte sich zwar mit Eifer daran, doch die Enzyklopädie blieb ein Torso. Außer den sechs Büchern Über die Musik sind nur noch Bruchstücke vorhanden. Sie lassen allerdings bereits die Prinzipien einer Ästhetik erkennen, deren rationaler Charakter nicht zu übersehen ist. In summa: Das Schöne gefällt deshalb, weil sein Schönsein einsichtig ist.

Diesen rationalen Charakter seiner Ästhetik verdankte Augustinus zweifelsohne weithin den Neuplatonikern. Mit deren Philosophie kam er noch vor seiner Bekehrung in Berührung, und zu ihr bekannte er sich von Ausnahmen abgesehen Zeit seines Lebens. Einer der Kerngedanken jener Philosophie war die erwähnte Lehre vom ‹Aufstieg› über eine hierarchisch gestuft gedachte Ordnung alles Seienden zu deren Quelle. Ebenso übernahm Augustin von den Neuplatonikern die Unterscheidung und Scheidung alles Seienden zwischen einem Bereich des ‹Draußen› für alles Materielle und einem Bereich des ‹Drinnen› für alles Geistige. Das sinnlich wahrnehmbare Schöne an den Dingen in Raum und Zeit sei lediglich Abglanz einer raum- und zeitenthobenen Schönheit, die Augustin mit dem Dreieinigen Gott identifizierte. In seiner Schrift Über die wahre Religion steht der Satz, der diesen Sachverhalt illustriert: «Gehe nicht nach außen, in dich selbst kehre zurück; im inneren Menschen wohnt die Wahrheit» (72). Der Satz ist bis in seine Diktion hinein neuplatonisch. Nicht anders verhält es sich mit dem Leitwort unseres Studientages: «Redi ... ad pulchrum, ut ad pulchritudinem redeas».

Im Hinblick auf eine so dichte Verankerung der Ästhetik Augustins im Neuplatonismus war es uns ein Anliegen, Plotins Theorie des Schönen und der Kunst auf unserem Studientag behandelt zu bekommen. Wir freuen uns, dass es uns gelungen ist, Herrn Kollegen Beierwaltes hierfür als Referenten zu gewinnen. Ihm gratuliere ich nochmals zu seinem 80. Geburtstag am 8. Mai d. Jr.s und ich erlaube mir, aus dem Artikel von Arbogast Schmitt in der Süddeutschen Zeitung zu zitieren: Werner Beierwaltes «gilt als der weltweit beste Platoniker der Gegenwart». Er, so der Artikel, konnte auch «überzeugende Antworten auf die Frage geben, wie das Christentum sich die Philosophie der Antike anverwandeln und die Grundlage einer bedeutenden europäischen Kultursymbiose finden konnte».

Es versteht sich, dass an einem Studientag über die Ästhetik Augustins Gott, Inbegriff der Schönheit – «pulchritudo pulchrorum omnium» (conf. 3,10) – unbedingt zur Sprache kommen muss. Das Hauptreferat Über den Grund ästhetischer Erfahrung bei Augustinus übernahm freundlicherweise Herr Kollege Johann Kreuzer aus Oldenburg, habilitiert mit der Arbeit Pulchritudo. Vom Erkennen Gottes bei Augustin. Bemerkungen zu den Büchern IX, X und XI der Confessiones. Darin geht es um die Erkenntnis dessen, von dem der Kirchenvater in seinen Confessiones klagend und doch rühmend zugleich bekennt: «Sero te amaui, pulchritudo tam antiqua et tam noua, sero te amaui – Spät hab' ich dich geliebt, du Schönheit, so alt und doch so neu, spät hab ich dich geliebt» (10,38).

Augustinus, so sagte ich, unterscheidet nicht nur die rein rationale, die zeit- und raumenthobene ‹ars› von der in der Zeit und im Raum ausgeführten – also den Künsten, den ‹artes› im herkömmlichen Sinn –, er scheidet sie auch. Die konstitutiv aus Zahlen, Verhältnissen und Gesetzmäßigkeiten bestehenden Kunstgattungen haben Anteil an einer sie übersteigenden Rationalität. An keiner anderen der Künste legte er so häufig und so intensiv seine Auffassung von der Bedeutung der Ästhetik für einen auf die Transzendenz hin ausgerichteten Kunstgenuss dar als an der Musik. Deshalb haben wir dieser Kunstgattung, sowohl was die Theorie als auch die Praxis betrifft, gebührend Zeit und Platz in unserem Programm eingeräumt.

Zunächst wird Frau Dr. Silke Wulf über die musikalische Ästhetik Augustins und dessen Musiktheorie referieren. Frau Wulf kommt ebenfalls aus Oldenburg, wo sie mit der Dissertation Vom Hören der Wahrheit. Zeit und Musik in der Philosophie des Aurelius Augustinus promoviert wurde. Wir freuen uns und sind gespannt auf ihre Ausführungen.

Unsere Studientage tragen stets auch der außerordentlich hohen Wirkungsgeschichte Augustins Rechnung. Diesmal tun wir dies mit einem Blick auf Boethius, dem spätantiken Gelehrten, Politiker, Philosophen und Theologen aus dem 5. und 6. Jahrhundert. Sein Werk De institutione musica war eines der einflussreichsten Lehrbücher der Musiktheorie. Frau Dr. Anja Heilmann aus der Universität Jena, ausgewiesene Kennerin der Musiktheorie des Boethius, wird uns dessen musikalische Ästhetik nahe bringen.

Schließlich wagen wir diesmal gerade im Hinblick auf die beiden Referate über die musikalische Ästhetik in der Spätantike ein Novum. Frau Dr. Gabriele Ziegler, Leiterin des Cassian-Projektes in Münsterschwarzach und gute Bekannte unseres Zentrums für Augustinus-Forschung, bot uns mit ihrem Ensemble für frühmittelalterliche Musik einige klangvolle Beispiele zur Wirkungsgeschichte der Ästhetik Augustins in der Musik des Mittelalters an.

Nach den Referaten sind wie immer Zeiten zur Diskussion und Nachfragen vorgesehen, die mein Kollege im Zentrum Christof Müller leiten wird. Danken will ich jetzt schon den Referenten für ihre Beiträge, ebenso der Gesellschaft zur Förderung der Augustinus-Forschung, insbesondere aber der Fritz Thyssen Stiftung für die finanzielle Unterstützung dieses Studientages.

Lassen Sie mich nochmals in aller Kürze auf Augustinus zurückkommen. Ich sagte eingangs, er war Rhetor und als solcher Künstler. Dies blieb er auch als Seelsorger. In der ältesten Biographie über ihn – sie stammt aus der Feder seines Zeitgenossen und Mitbischofs Possidius – rühmt dieser den Gewinn, den Leser aus den Werken des Kirchenvaters immer noch ziehen können würden. Weit größer sei jedoch der Gewinn derer gewesen, die ihn persönlich im Gottesdienst sehen und seine Predigten hören konnten. Er predigte in der Weise biblisch, dass er die Texte auf Christus und die Kirche hin auslegte. Weil aber in der Bibel – speziell in den Psalmen – die Lesenden und Betenden immer wieder zum Gesang und sogar zum Griff nach Musikinstrumenten aufgefordert werden, geriet der predigende Bischof bei solchen Stellen geradezu ins Schwärmen. Der 150. Psalm beginnt bekanntlich mit dem Vers: «Lobet Gott in seinen Heiligen, lobt ihn in seiner mächtigen Feste», und der Psalmist nennt darauf einige Instrumente, mit denen Gott zu loben sei. Augustinus erklärt zunächst den musikalischen Charakter der Instrumente, der jedem als Klangkörper zukommt. Dann aber fährt er fort – und damit beendet er eines seiner umfassendsten Werke, die Erklärung aller 150 Psalmen –: «Wenn also der Psalmist einlädt, ‹den Herrn in seinen Heiligen zu preisen›, wem sagt er dann dies, wenn nicht diesen selbst? Und in wem sollen diese Gott preisen, wenn nicht in sich selbst. Ihr, seine Heiligen, seid nämlich seine Kraft, die er in euch legte, ihr seid seine Stärke und seine Größe, die er in euch wirkt. Ihr seid die Posaune, die Harfe, die Zither, die Pauke, das Saitenspiel, der Chor, die Flöte, die Zimbel, die alle gar herrlich klingen, weil sie zusammenklingen.