ZENTRUM FÜR AUGUSTINUS-FORSCHUNG

AN DER JULIUS-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT WÜRZBURG

AUGUSTINUS-FESTPREDIGT

Von Cornelius Petrus Mayer OSA

Vogelsburg, 25. August 2013

Vorspann

Am 28. August jeweils gedenkt die Kirche des im Jahr 430 in Hippo, einer Hafenstadt Nordafrikas, verstorbenen Bischofs Augustinus, und die Augustinus-Schwestern auf der Vogelsburg feiern diesen Gedenktag am heutigen Sonntag.

Von der Persönlichkeit dieses vielleicht größten Theologen und Seelsorgers gingen Impulse aus, die den Glauben der Kirche prägten und immer noch prägen. Kein Geringerer als Papst Benedikt XVI. unterstrich dies: «Wenn ich die Schriften des hl. Augustinus lese», sagte er, «habe ich nicht den Eindruck, dass es sich um einen Mann handelt, der vor rund 1600 Jahren gestorben ist, sondern ich spüre ihn wie einen Menschen von heute ..., der mit seinem ... Glauben zu uns spricht». Mit seiner Enzyklika Gott ist die Liebe bewegte sich der inzwischen emeritierte Papst auf den Bahnen des hl. Augustinus.

In der Tat, wie kaum ein anderer verstand dieser es, den Christen zu zeigen, worauf es im Glauben der Kirche ankommt. Ich denke darum, wir sind gut beraten, wenn wir uns um Einsichten bemühen, die auch für uns von ungebrochener Gültigkeit sind.

Von ungebrochener Gültigkeit – wer wollte dies bezweifeln? – ist das neutestamentliche Liebesgebot. Darum soll in der Predigt nicht von dem bewegten und bewegenden Leben des hl. Augustinus die Rede sein, sondern im Anschluss an die Lesung unserer Festmesse aus dem Ersten Johannesbrief von der christlichen ‹caritas›, wie er diese verstand.

Lesungen der Liturgie

1 Johannes 4,7-15 und Matthäus 23,8-12

Predigt

Ich möchte Sie zunächst in aller Kürze auf den zweiten Satz des soeben vernommenen Evangeliums aufmerksam machen: «Auch sollt ihr niemand auf Erden euren Vater nennen, denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel». Unser gegenwärtiger Papst Franziskus räumt in der Kirche, wie Sie wissen, sichtlich auf. Ich warte nun darauf, dass er allein schon im Blick auf diesen Satz den Titel ‹heiliger Vater› für sich abschafft, denn nur einer ist heilig, was die Bibel wiederholt betont. Augustinus nannte sich mit Vorliebe ‹servus servorum dei – Knecht der Knechte Gottes›!

Unser Evangelienabschnitt beginnt mit der nicht weniger erregenden Botschaft: «Ihr aber sollt euch nicht Lehrer nennen lassen; denn einer nur ist euer Lehrer, Christus (Mt 23,10)». Obgleich der hl. Augustinus Professor der Redekunst, also von Beruf Lehrer war, wusste er, dass in Bezug auf das Heil des Menschen nur einer Lehrer sein kann: der von Gott in die Welt gesandte, der für uns gekreuzigte und verherrlichte Christus.

Es gibt darum keine Glaubenswahrheit, die mit Christus nichts zu tun hätte, insbesondere das Liebesgebot nicht! Gerade weil dieses zum innersten Kern der neutestamentlichen Verkündigung gehört, gründet es in dem, ‹den Gott als Retter der Welt gesandt hat› (1 Joh 4, 14). Die Lesung unserer Festmesse hat dies unmissverständlich zur Sprache gebracht: «Wer bekennt, dass Jesus der Sohn Gottes ist, in dem bleibt Gott, und er bleibt in Gott. Wir haben diese Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen» (ebd. 16), heißt es da.

Mit dieser Einbettung des Liebesbegriffes auf Christi Erlösungswerk ist nichts gegen den weltlichen, den für alle Menschen geltenden, das gesellschaftliche Zusammenleben überhaupt erst ermöglichenden Liebesbegriff gesagt. In der Antike sprach man zu Recht vom ‹Eros›, und in der Umgangsprache versteht man heute noch darunter die zwischenmenschlich-affektiv-sinnlich-erotische Beziehung – in philosophisch gehobener Sprache den Drang nach Erkenntnis sowie nach einer dieser Erkenntnis entsprechendem Sittlichkeit.

Man wird gewiss nicht sagen können, die christliche ‹caritas› habe mit dieser Art Liebe nichts zu tun, wohl aber, dass sie sich darin nicht erschöpft. Das die ‹caritas› Kennzeichnende und sie zugleich Auszeichnende ist doch noch etwas anderes. Was das ist, dies sagt uns Augustinus anhand unserer Lesung.

«Wir wollen einander lieben; denn die Liebe ist aus Gott, und jeder der liebt, stammt von Gott und erkennt Gott. Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt; denn Gott ist die Liebe» (ebd. 7-8). Die ‹Liebe›, so Augustinus, ist Gottes Geschenk – denn sie ist, wie es im Römerbrief heißt, «ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist» (5,5).

Unsere Lesung bindet deshalb die ‹caritas› an Christi Erlösungswerk. Und diese besteht darin, «dass Gott seinen Sohn für unsere Sünden gesandt hat» (ebd. 9-10). Wieder zitiert Augustinus bei der Auslegung dieses Satzes aus dem Römerbrief: Gott habe seinen eigenen Sohn nicht verschont, «sondern ihn für uns alle hingegeben; wie hätte er uns mit ihm nicht alles geschenkt?» (8,32).

Was meint dieses «alles», wenn nicht den Vater, der seinen Sohn hingab, aber auch den Sohn, der sich selbst für uns hingab? Die Hingabe ist also das Schlüsselwort zum Verständnis der christlichen ‹caritas› – die Hingabe, die wir auch in der Eucharistie feiern.

Jetzt erst, nachdem das Wesen der in Gott und in Christus gründenden ‹caritas› gebührend zur Sprache kam, wird in der Lesung auch die Verpflichtung zur Nächstenliebe in den Blick genommen: «Wenn – das will sagen: da und weil! – Gott uns so geliebt hat, müssen auch wir einander lieben» (ebd. 11) – worauf sich dann noch der für das Liebesgebot folgenreiche Satz anschließt: «Niemand hat Gott je geschaut» (ebd. 12a).

Selbstredend, erklärt Augustinus, könne man Gott mit den Augen nicht schauen; er wolle mit dem Herzen geschaut werden. Solches Schauen ermöglicht die Liebe. «Was für ein Gesicht hat die Liebe?», fragt er. «Welche Form, welche Gestalt ... Welche Füße, welche Hände? Niemand kann es sagen. Dennoch hat sie Füße ...; sie führen dich zu deinem Nächsten. Und Hände hat sie; sie strecken sich den Armen entgegen; und Augen hat sie, mit denen sie den Bedürftigen wahrnimmt ..., und Ohren hat sie», ‹um zu hören, was der Herr sagt›.

Indes, ‹nicht nur einzelne, sondern alle sieht der, wer die Liebe hat› (Traktat 7,10). Weil die ‹caritas› alle sieht, übersieht sie die soziale Dimension des Liebesgebotes nicht. Christen dürften nicht wünschen, dass es Hilfsbedürftige gebe, nur damit sie Werke der Barmherzigkeit üben könnten. «Du reichst dem Hungernden Brot», sagt Augustinus; «es wäre besser, wenn niemand hungerte. Du bekleidest den Nackten; dass doch alle bekleidet wären! ... Du versöhnst die Streitenden; bestünde doch schon jener Friede ..., in dem niemand in Zwietracht lebt» (Traktat 8,5).

Und was das heikle Thema der Feindesliebe betrifft, so meint Augustinus, dieser Teil des Liebesgebotes werde im Johannesbrief nur deshalb nicht erwähnt, weil er wesentlicher Bestand der Nächstenliebe sei. Christus habe ihn gefordert und uns vorgelebt. Was soll ein Christ seinem Feind wünschen, fragt der Bischof, und seine Antwort lautet: «Wünsche ihm, dass er mit dir zusammen das ewige Leben habe». «Darum», so fügt er hinzu, «ist die Feindesliebe die vollkommene Liebe, die als solche ihren Ort in der Bruderliebe hat» (Traktat 8,10).

«Wenn wir einander lieben, bleibt Gott in uns und seine Liebe ist in uns vollendet» (V. 12b), fährt unsere Lesung weiter. «Fang an zu lieben», so fährt Augustinus weiter: «Fang an zu lieben, und du wirst vollendet werden. Hast du angefangen zu lieben? Dann hat Gott begonnen, in dir zu wohnen. Liebe ihn, der in dir wohnt, damit er dich durch seine Einwohnung vollkommen mache» (Traktat 8,12). Dieses «Fang an!» setzt indes immer schon Gottes Hilfe beim Vollzug des Liebesgebotes voraus.

In seinen Bekenntnissen, die zur Weltliteratur zählen, legt Augustinus auch davon beredtes Zeugnis ab, bis zu welchem Grade es ihm, dem Mittvierziger, gelungen bzw. nicht gelungen ist, den Anforderungen des Liebesgebotes gerecht zu werden. Was erreicht ist, bekennt er, geschah mit Gottes erbarmender Hilfe. Und in Bezug auf das Noch-nicht-Erreichte schreibt er: «Meine ganze Hoffnung beruht allein auf deinem überreichen Erbarmen». Darauf folgt dann der einprägsame und viel diskutierte Satz: «Gib, was du forderst, und dann fordere, was du willst» (10,40.56.60).

In den Schriften des hl. Augustinus gibt es noch weitere solch einprägsame Sätze über die christliche ‹caritas›. Einer davon findet sich in der Predigt des Bischofs zu unserer Lesung. Er fasst gleichsam alle Bemühungen des Kirchenvaters um sein Verständnis des christlichen Liebesgebotes zusammen: «Liebe, und tu, was du willst» – das will sagen, was du von der christlichen ‹caritas› motiviert willst –, «das tu!» «Schweigst du, so schweig in Liebe, wirst du laut, so tu es in Liebe; weisest du zurecht, weise in Liebe zurecht; übst du Nachsicht, übe sie in Liebe. Lass die Wurzel der Liebe in deinem Inneren verbleiben: Aus dieser Wurzel kann nur Gutes wachsen» (Traktat 7,8).

Die Wertigkeit eines Christenmenschen, davon war der Bischof zutiefst überzeugt, misst sich einzig und allein an seiner Liebe. Darum war er selbst allzeit bestrebt, seine eigene Liebesfähigkeit zu intensivieren und die ihm Anvertrauten dazu zu ermuntern und anzuhalten. «Ja» – so sagte er über den absoluten Primat der Liebe in einer anderen Predigt, womit ich die meine schließen will –, «ja, mögen sich alle mit dem Zeichen des Kreuzes bezeichnen, mögen alle Amen antworten, mögen alle Halleluja singen, mögen alle sich taufen lassen und in die Kirche eintreten – der Unterschied zwischen den Kindern des Lichtes und den Kindern der Finsternis liegt einzig in der Liebe. Wer sie nicht besitzt, ist nicht aus Gott. Ohne sie ist alles nutzlos, was immer du hast; sie allein genügt, auch wenn du sonst nichts hast» (Traktat 5,7). Welche Zusicherung und Zuversicht, aber auch welch ein Anspruch! Amen.

Cornelius Petrus Mayer OSA