ZENTRUM FÜR AUGUSTINUS-FORSCHUNG

AN DER JULIUS-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT WÜRZBURG

Die Tagespost vom 22.11.2008, Seite 6
«Frausein ist kein Gebrechen»

Lesung und Gespräch über das Frauenbild des heiligen Augustinus

Von Guntram Matthias Förster

Augustinus und Monnica bei ihrem mystischen Erlebnis in Ostia A. Schefer (1795-18858)
Abbildung: Ary Schefer (1846) Bild im Originalformat anzeigen
Zwischen Idealisierung und Dekonstruktion: Augustins Bild von seiner Mutter Monnica, der sein Leben wohl am nachhaltigsten prägenden Frauengestalt.
Frankfurt (DT) Dem „modernsten Denker der Antike“ hat die katholische Bildungseinrichtung „Haus am Dom – Akademisches Zentrum Rhabanus Maurus“ Frankfurt in den zurückliegenden Monaten eine vierteilige Veranstaltungsreihe gewidmet: „Zu den Quellen – warum Augustinus lesen?“ Nach Themenabenden zum Verfasser der „ersten Autobiographie“ (Confessiones – Bekenntnisse), zur Augustin-Rezeption der existenzialistischen Philosophin Hannah Arendt und zum Todesverständnis des Kirchenvaters fand die Reihe mit dem Podiumsgespräch zu dem brisanten Thema „Augustinus und die Frauen“ diese Woche ihren Höhepunkt.

Als ausgewiesener Augustinus-Experte geladen war der Privatdozent Christof Müller, Mitherausgeber des renommierten Augustinus-Lexikons und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Zentrums für Augustinus-Forschung (ZAF) an der Universität Würzburg. Der Politikwissenschaftler und Philosoph Otto Kallscheuer konfrontierte als Tagungsleiter einleitend Podiumsgast und Publikum mit dem nicht nur seitens der feministischen Theologie erhobenen Vorwurf, dass der Bischof von Hippo die Hauptverantwortung für die Frauenfeindschaft in der Geschichte des Christentums trage. Eine Auswahl von Schlüsseltexten aus dem Œuvre Augustins, die von dem Schauspieler Daniel Christensen rezitiert wurden, bildete die solide Basis für eine qualifizierte Auseinandersetzung mit der ebenso komplexen wie heiklen Thematik.

Einen ersten Zugang zu Augustins Frauenbild eröffneten autobiographische Notizen. Die Gestalt seiner Mutter Monnica, der er in den Confessiones ein literarisches Denkmal setzt, spielt bekanntermaßen eine herausgehobene Rolle. In der Erzählung vom Traum Monnicas, der sie mit der Gewissheit erfüllte, dass ihr zeitweilig der Manichäersekte verfallener Sohn zum Christentum zurückkehren werde, wird die leibliche Mutter zugleich als „Mutter im Glauben“ stilisiert (conf. 3, 19f.). Monnica würden hier Attribute beigelegt, die sonst nur der Kirche zukommen, erläuterte Christof Müller. Dennoch sei das Bild der Mutter nicht frei von Ambivalenzen – wie der Kirchenvater die Muttergestalt hier erhöhe, so dekonstruiere er sie an anderer Stelle. Die Episode, in der er sich durch eine Lüge der Nähe seiner Mutter entzieht und die Flucht nach Rom antritt, deutet der Autor der Confessiones rückblickend im Gebet vor Gott folgendermaßen: „In mütterlicher Weise liebte sie, mich immer um sich zu haben, doch viel inniger als andere, und sie wusste nicht, welche Freude du ihr aus meiner Abwesenheit schaffen würdest“ (conf. 5, 15). Der Augustinus-Forscher konstatierte hier eine durchaus kritische Sicht der Mutter, die mit fleischlicher Konkupiszenz an ihrem Sohn hängt.

Sehr aufschlussreich für Augustins Wertung der Sexualität war die Diskussion des Berichts über die Trennung von seiner langjährigen Lebensgefährtin, die ihm den gemeinsamen Sohn Adeodatus geboren hatte (conf. 6, 25). Über den Schmerz der Trennung und das anhaltende sexuelle Verlangen spricht der Bischof im Bild einer nicht verheilten Wunde, die im Weiteren mit Wundbrand und Fäulnis assoziiert wird. Ob solche Aussagen nicht geeignet seien, den Kirchenvater als Urheber der Körper-, Frauen-, Sexual- und Leibfeindlichkeit dingfest zu machen, provozierte Kallscheuer seinen Würzburger Podiumsgast im Anschluss an die Lesung dieser Passage. Müller mochte das für zeitgenössische Ohren Anstößige dieser Sicht nicht bestreiten, rückte die Aussagen des Kirchenvaters aber in den Rahmen seiner neuplatonisch geprägten Ontologie und damit in ein verändertes Licht. Nach dieser Weltsicht nimmt der Mensch im Seinsspektrum eine Mittelstellung zwischen der ewigen, geistigen und unveränderlichen Wirklichkeit, zu der er berufen ist, und der irdischen, fleischlichen, vergänglichen Wirklichkeit ein. Die Fixierung auf das Sexuelle könne von diesem ontologischen Schema her mit einer gewissen Folgerichtigkeit als Ausdruck des Sichklammerns an Endliches, das keinen bleibenden Bestand hat, gedeutet werden.

Eine mögliche Aktualität dieses bei Augustinus anzutreffenden metaphorischen Zusammenhangs von Sexuellem und Endlichkeit sah Kallscheuer im Blick auf den „Skandalroman“ von Charlotte Roche: „Feuchtgebiete“. Die skandalisierende Wirkung, die ihre drastischen Beschreibungen des weiblichen Körpers bei den Zeitgenossen auslösten, sei kaum anders als durch die Angst vor der Konfrontation mit Vergänglichkeit, Endlichkeit und Sterblichkeit zu erklären.

In seinen Ausführungen zur Gottebenbildlichkeit, der zentralen Kategorie theologischer Anthropologie, spielt für Augustinus die Geschlechterdifferenz keine Rolle. Die Gottebenbildlichkeit ist in den Augen Augustins geschlechtsneutral und in der Innerlichkeit des Menschen, speziell seiner Geistseele verankert. Innerhalb der Struktur der menschlichen Innerlichkeit unterscheidet Augustinus allerdings zwischen höherstehendem, den Menschen als Menschen auszeichnenden Verstand (mens beziehungsweise ratio) und der untergeordneten, mit den Tieren gemeinsamen Seele (anima), die der Leitung durch den Verstand bedarf. In einer allegorischen Exegese der Erzählung von der Frau am Jakobsbrunnen (Joh 4) legt Augustinus die gesellschaftlich bedingte Unterordnung der Frau unter den Mann auf das Verhältnis von Seele und Verstand hin aus. Gegen den Verdacht, mit dieser Auslegung werde die Diskriminierung der Frau theologisch legitimiert, nahm Müller den Kirchenvater entschieden in Schutz. Andererseits erlaube der augustinische Ansatz aber auch keine theologische Kritik an der gesellschaftlichen Situation der Frau.

Schließlich kam der Kirchenvater noch mit einer eschatologisch ausgerichteten Stelle seines monumentalen Hauptwerkes Über den Gottesstaat zu Wort, in der er sich zu einer Antwort auf die Ansicht herausgefordert sieht, dass die Verstorbenen am Jüngsten Tag nur im männlichen Geschlecht auferstehen würden. Augustinus argumentiert dagegen entschieden im Sinne der Auferstehung beider Geschlechter: „Dem Auferstehungsleib nun werden wohl die Gebrechen abgestreift sein, doch die Natur bleibt ihm erhalten. Das weibliche Geschlecht ist ja kein Gebrechen, es ist vielmehr Natur...“ (civ. 22,17).

© Die Tagespost - Katholische Zeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur vom 22.11.2008, Seite 6

Wir danken dem J.W. Naumann-Verlag für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung in unserem Webportal.