ZENTRUM FÜR AUGUSTINUS-FORSCHUNG

AN DER JULIUS-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT WÜRZBURG

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Fecisti nos ad te, domine, et inquietum est cor nostrum donec requiescat in te.

Confessiones 1,1

Geschaffen hast du uns auf dich hin, o Herr, und unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir.

Bekenntnisse 1,1

Der Sermo 272, eine weitere Predigt für die Neugetauften über die Eucharistie an einem Ostermorgen

Von Cornelius Petrus Mayer OSA

Zum Verständnis
Konziser noch als im Sermo 227 legt der Bischof von Hippo in dieser Predigt die Grundthese seiner Eucharistielehre dar. Sie hat ebenfalls die schon erwähnten 4 Kernpunkte seiner Lehre über die Kirche als Leib Christi, über den Hl. Geist als Seele der Kirche, über die Eucharistie als Leib Christi, der auch die Kirche meint, und über den Zeichencharakter der Sakramente zur Voraussetzung. Speziell der zuletzt genannte 4. Punkt steht in dieser Predigt im Zentrum der theologischen Reflexion und im Dienst der eucharistischen Spiritualität. Das Verstehen der Sakramente setzt das Unterscheiden voraus. Etwas anderes ist das Zeichen, etwas anderes das Bezeichnete. Das erste 'andere' wird sinnlich wahrgenommen, das zweite 'andere' will mit Hilfe der Vernunft verstanden werden: "aliud uidetur, aliud intellegitur". Der Glaube kommt im Verstehen zum Ziel. Der Prediger insistiert auf dem intellektuellen Akt beim Empfang des Sakramentes. Daher die Intensität der Belehrung in diesem verhältnismäßig kurzen Sermo. Die analytische Beschreibung von Brot und Wein macht deren Zeichenhaftigkeit vom Bezeichneten her einsichtig. Denn auch dies gehört zum Kern der augustinischen Zeichenlehre: Nicht die Sache wird durch das Zeichen, sondern das Zeichen durch die Sache erkannt. Das Bezeichnete ist der aus Haupt und Gliedern bestehende Leib Christi. Folgerichtig formuliert der Bischof - für uns ungewohnt und darum ungemein kühn klingend: "Euer Geheimnis liegt auf dem Tisch des Herrn: ihr empfangt euer Geheimnis". Und einige Sätze weiter: "Seid, was ihr seht, und empfangt, was ihr seid!"
Wohl in der völlig anderen Sicht der Eucharistie, die im Mittelalter durch die sogenannte Transsubstantiationslehre in der Kirche exklusiv zum Zuge kam und heimisch wurde, mag der Grund zu suchen und zu finden sein, weshalb jene des Bischofs von Hippo sowohl in der Theologie wie auch in der christlichen Spiritualität in die Vergessenheit geriet. Sie wieder zu verlebendigen und ins Bewußtsein der die Eucharistie Feiernden zu verankern, dies bedeutete zweifelsohne eine Vertiefung der eucharistischen Frömmigkeit.

 

Hoc quod uidetis in altari dei, etiam transacta nocte uidistis: sed quid esset, quid sibi uellet, quam magnae rei sacramentum contineret, nondum audistis.   Das, was ihr auf dem Altar Gottes seht, habt ihr auch in der vergangenen Nacht gesehen. Aber, was es ist, was es damit auf sich hat, welch großes Geheimnis es enthält, habt ihr noch nicht gehört.
quod ergo uidetis, panis est et calix; quod uobis etiam oculi uestri renuntiant: quod autem fides uestra postulat instruenda, panis est corpus Christi, calix sanguis Christi.   Was ihr also seht, ist das Brot und der Kelch; das sagen euch auch eure Augen. Worüber aber euer Glaube belehrt werden will: Das Brot ist der Leib Christi, der Kelch das Blut Christi.
breuiter quidem hoc dictum est, quod fidei forte sufficiat: sed fides instructionem desiderat. dicit enim propheta: "nisi credideritis, non intelligetis". (Is 7,9). potestis enim modo dicere mihi: praecepisti ut credamus, expone ut intelligamus.   Das ist schnell gesagt, und zum Glauben genügt es vielleicht. Aber der Glaube verlangt nach Belehrung. Sagt doch der Prophet: "Wenn ihr nicht glaubt, werdet ihr nicht verstehen" (Jes 7,9). Ihr könnt also ruhig sagen: Du hast befohlen, daß wir glauben; nun erkläre, damit wir verstehen.
potest enim in animo cuiusquam cogitatio talis suboriri: dominus noster Iesus Christus, nouimus unde acceperit carnem; de uirgine Maria. infans lactatus est, nutritus est, creuit, ad iuuenilem aetatem perductus est, a Iudaeis persecutionem passus est, ligno suspensus est, in ligno interfectus est, de ligno depositus est, sepultus est, tertia die resurrexit, quo die uoluit, in caelum ascendit; illuc leuauit corpus suum; inde est uenturus ut iudicet uiuos et mortuos; ibi est modo sedens ad dexteram patris: quomodo est panis corpus eius? et calix, uel quod habet calix, quomodo est sanguis eius?   Manch einer kann auf folgenden Gedanken kommen: Wir wissen, woher unser Herr Jesus Christus Fleisch annahm: aus der Jungfrau Maria. Als Kind wurde er gesäugt und genährt. Er wuchs heran, wurde ein junger Mann; er erlitt von den Juden Verfolgung, wurde gekreuzigt und starb am Kreuz. Man hat ihn vom Kreuz abgenommen und begraben. Am dritten Tag, dem Tag, an dem er wollte, erstand er von den Toten und fuhr zum Himmel auf. Dorthin erhob er seinen Leib; von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten. Dort sitzt er jetzt zur Rechten des Vaters. Wieso ist das Brot sein Leib? Und der Kelch oder was in dem Kelch ist, wieso ist das sein Blut?
ista, fratres, ideo dicuntur sacramenta, quia in eis aliud uidetur, aliud intelligitur. quod uidetur, speciem habet corporalem, quod intelligitur, fructum habet spiritualem.   Diese Dinge (Brot und Wein), Brüder, heißen deshalb Sakramente, weil man an ihnen etwas anderes sieht, etwas anderes dagegen erkennt. Was man sieht, hat eine leibliche Gestalt, was man erkennt, hat einen geistigen Gehalt.
corpus ergo Christi si uis intelligere, apostolum audi dicentem fidelibus, "uos autem estis corpus Christi, et membra" (1 Cor 12,27). si ergo uos estis corpus Christi et membra, mysterium uestrum in mensa dominica positum est: mysterium uestrum accipitis.   Wenn du also den Leib Christi verstehen willst, höre den Apostel, der den Gläubigen sagt: "Ihr aber seid der Leib Christi und seine Glieder" (1 Kor 12,27). Wenn ihr also Leib und Glieder Christi seid, dann liegt euer Geheimnis auf dem Tisch des Herrn: Euer Geheimnis empfangt ihr.
ad id quod estis, amen respondetis, et respondendo subscribitis. Audis enim, corpus Christi; et respondes, amen. esto membrum corporis Christi, ut uerum sit amen.   Zu dem, was ihr seid, antwortet ihr Amen. Diese Antwort ist eure Unterschrift. Du hörst: Leib Christi, und antwortest: Amen. Sei ein Glied am Leib Christi, damit dein Amen wahr sei!
quare ergo in pane? nihil hic de nostro afferamus, ipsum apostolum identidem audiamus, qui cum de isto sacramento loqueretur, ait, "unus panis, unum corpus multi sumus" (1 Cor 10,17): intelligite et gaudete; unitas, ueritas, pietas, caritas. unus panis: quis est iste unus panis? unum corpus multi.   Warum denn (besteht das Sakarament) im Brot? Wir wollen hierin nicht unsere eigene Ansicht darlegen; hören wir wieder den Apostel selbst, der, da er von diesem Sakrament sprach, sagte: "Ein Brot, ein Leib sind wir, die Vielen" (1 Kor. 10,17). Versteht (das Sakrament) und freut euch: (denn es versinnbildet) die Einheit, die Wahrheit, die Ehrfurcht und die Liebe. Ein Brot: Wer ist dieses eine Brot? Die Vielen, die der eine Leib sind.
recolite quia panis non fit de uno grano, sed de multis. quando exorcizabamini, quasi molebamini. quando baptizati estis, quasi conspersi estis. quando spiritus sancti ignem accepistis, quasi cocti estis. Estote quod uidetis, et accipite quod estis. hoc apostolus de pane dixit.   Bedenkt es, daß das Brot nicht aus einem einzigen Korn wird, sondern aus vielen. Als der Exorzismus über euch gesprochen wurde, da wurdet ihr gewissermaßen gemahlen. Als ihr getauft wurdet, wurdet ihr gleichsam benetzt. Als ihr das Feuer des heiligen Geistes empfingt, wurdet ihr gleichsam gebacken. Seid, was ihr seht, und empfangt, was ihr seid. Soviel sagt der Apostel zum Brot.
iam de calice quid intelligeremus, etiam non dictum, satis ostendit. sicut enim ut sit species uisibilis panis, multa grana in unum consperguntur, tanquam illud fiat, quod de fidelibus ait scriptura sancta, "erat illis anima una, et cor unum in deum" (Act 4,32): sic et de uino. fratres, recolite unde fit uinum. grana multa pendent ad botrum, sed liquor granorum in unitate confunditur.   Und wie wir den Kelch verstehen sollen, macht er - auch ungesprochen - deutlich genug: Wie nämlich, damit die sichtbare Gestalt des Brotes entsteht, viele Körner zu einem (Brot) zusammengeknetet werden - gleich wie das geschieht, was die heilige Schrift von den Gläubigen sagt: "Sie hatten eine Seele, ein Herz zu Gott" (Apg 4,32) -, ebenso ist es mit dem Wein. Brüder, bedenkt, woraus der Wein entsteht: Viele Beeren hängen an der Traube; aber der Saft der Beeren fließt wie zu einer Einheit zusammen.
ita et dominus Christus nos significauit. nos ad se pertinere uoluit, mysterium pacis et unitatis nostrae in sua mensa consecrauit. qui accipit mysterium unitatis, et non tenet uinculum pacis, non mysterium accipit pro se, sed testimonium contra se.   So hat auch der Herr Christus uns (mit dem Sakrament des Brotes und des Weines) bezeichnet. Er wollte, daß wir zu ihm gehören, er hat das Geheimnis unseres Friedens und unserer Einheit auf seinem Tisch dargebracht. Wer (daher) das Mysterium der Einheit empfängt und das Band des Friedens nicht hält, der empfängt kein Mysterium für sich, sondern ein Zeugnis gegen sich.
Oratio
conuersi ad dominum deum patrem omnipotentem, puro corde ei, quantum potest paruitas nostra, maximas atque ueras gratias agamus; precantes toto animo singularem mansuetudinem eius, ut preces nostras in beneplacito suo exaudire dignetur; inimicum quoque a nostris actibus et cogitationibus sua uirtute expellat, nobis multiplicet fidem, mentem gubernet, spirituales cogitationes concedat, et ad beatitudinem suam perducat: per Iesum Christum filium eius.
amen.
  Gebet
Hingekehrt zum Herrn Gott, dem allmächtigen Vater, wollen wir reinen Herzens, soviel unsere Kleinheit vermag, ihm größten und wahren Dank sagen und aus ganzer Seele seine einzigartige Barmherzigkeit bitten, er möge unsere Gebete nach seinem Wohlgefallen erhören; er möge den Feind aus unserm Tun und Denken durch sein Macht vertreiben; er vermehre uns den Glauben, lenke den Sinnn, gebe geistliche Gedanken und führe uns zu seiner Seligkeit: durch Jesus Christus seinen Sohn. Amen.