ZENTRUM FÜR AUGUSTINUS-FORSCHUNG

AN DER JULIUS-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT WÜRZBURG

Auch der vierte Band des Augustinus-Lexikons erfüllt höchste wissenschaftliche Ansprüche. Eine Rezension der überregionalen katholischen Wochenzeitung Die Tagespost. Von HARM KLUETING

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Augustinus-Lexikon © Schwabe Verlag

Es nötigt Respekt ab: In einer Zeit, in der die großen wissenschaftlichen Enzyklopädien, die einmal ein Herzstück geisteswissenschaftlicher Gelehrsamkeit waren, in den Hintergrund treten, vom Buchmarkt verdrängt werden und aus dem Blick der Studierenden verschwinden, erscheint mit dem Augustinus-Lexikon noch immer ein Gemeinschaftswerk einer internationalen Gelehrtengruppe, das höchste Ansprüche der Wissenschaft vorbildhaft erfüllt. Das heute als Akademievorhaben der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz geführte Unternehmen wurde von dem bis zu seiner Emeritierung an der Universität Gießen Dogmatik und Dogmengeschichte lehrenden Cornelius Petrus Mayer OSA begründet und wird von dem von ihm errichteten Zentrum für Augustinus-Forschung an der Universität Würzburg unter seinem Nachfolger Christof Müller betreut. Das Werk erfasst und erschließt die Schriften des heiligen Augustinus (354-430).

Für die Lehre wichtige Begriffe und Personen

Band vier erläutert für seine Lehre wichtigen Begriffe sowie Personen – etwa „Monnica“, seine ebenfalls als Heilige verehrte Mutter (331–387), und Sachen – vor allem Orte wie „Roma“, die Stadt, in die Augustinus erstmals 383 kam, deren Eroberung durch die Westgoten 410 in seine Lebenszeit fiel und zu der der Bonner Professor für Alte Geschichte Konrad Vössing einen Artikel beisteuert. Behandelt werden auch Gegenstände wie „Pecunia“ (nicht nur Geld, sondern auch Besitz) oder Stoffe wie „Metallum“ (Metall) – und zwar gemäß dem Sprachgebrauch des Augustinus in lateinischer Sprache. So tragen die einzelnen Artikel lateinische Titel wie „Meritum“ (Verdienst). Die Beiträge selbst sind, wie es sich heute für ein in Deutschland beheimatetes, aber der internationalen Wissenschaft verpflichtetes Werk gehört, nicht nur auf Deutsch, aber sinnvollerweise auch nicht nur auf Englisch verfasst, sondern je nach der Publikationssprache des Autors oder der Autorin auf Deutsch, Englisch oder Französisch.

Dabei ist das Augustinus-Lexikon keineswegs nur ein Lexikon zur Erschließung des Werkes des Bischofs von Hippo, sondern wegen der großen Wirkung des Augustinus über die Jahrhunderte der Theologie- und Geistesgeschichte hinweg bis in unsere Zeit auch ein wichtiges theologiegeschichtliches Werk. Mit Erscheinen des vierten Bandes ist das Augustinus-Lexikon neben der Druckausgabe auch als „AL-online“ im Internet zugänglich. Einige der 230 Artikel des vierten Bandes seien hier exemplarisch vorgestellt:

Wie Augustinus das Mönchtum verstand

Monachus: Andreas E. J. Grote, promovierter Althistoriker und Leiter der Redaktion des Augustinus-Lexikons, zeigt, dass der griechische Begriff „monachos“ in der lateinischen Form „monachus“ (Mönch) von Augustinus sowohl im Sinne des allein lebenden Asketen, Einsiedlers oder Eremiten, griechisch „anachōreta“, als auch des in Gemeinschaft lebenden Klostermönchs oder Zönobiten vorkommt, wobei letztere Bedeutung bei ihm aber dominant ist. Augustinus verstehe in seinen „Enarrationes in Psalmos“, seinen Auslegungen der Psalmen, zu Psalm 132 (133) „monos“ nicht im Sinne von „solus“ (allein), sondern von „unus“ (ein/einig/einmütig) – „Seht doch, wie gut und schön ist es, wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen (Psalm 133, 1/ Einheitsübersetzung) und gelange so in Verbindung mit Apostelgeschichte 4, 32–35, der Perikope über die Jerusalemer Urgemeinde, zu einem zönobitischen Gehalt von „monachus“. Zugleich komme er zu einem Verständnis von Mönchtum, das, anknüpfend an das Bild von der Kirche als „corpus“ (Körper) und von Christus als „caput“ (Haupt, Kopf) bei Paulus (1 Korinther 12, 12–27), das Mönchtum als herausragendes Glied, als „honorabilius membrum“, erscheinen lässt.

So sei für Augustinus „eine völlige Konversion zum Christentum gleichbedeutend mit der Bekehrung zu einem asketischen Lebensstil“, was ihn „das Anachoretentum für theoretisch hochwertiger als das Zönobitentum“ sehen lasse, doch erscheine ihm wegen seines Bildes des Menschen als sozialen Wesens die eremitische Separation, auch unter dem Aspekt der Nächstenliebe, als unmöglich. Das ideale Mönchtum sei daher für ihn „ein gemäßigt zönobitisches, eine Gemeinschaft unter der Autorität eines Vorstehers und der Disziplin einer Regel“, ferner in der Verbindung mit dem pastoralen Dienst.

Auch wenn es schon vor Augustinus Spuren der Verbindung von Mönchtum und Seelsorge gibt, so beginnt doch mit Augustinus die Klerikalisierung des Mönchtums – derMönch als Priester –, während Benedikt von Nursia (um 480–547) unter seinen Mönchen keine Priester und in seinen Klöstern Priester nur als notwendige Funktionsträger für die Feier der Eucharistie wollte, was sich im benediktinischen Mönchtum erst Jahrhunderte später änderte. Mit seiner Betonung der Pflicht der Mönche, den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, widersprach Augustinus aber auch einer dritten Form des Mönchtums, den Bettelmönchen oder Mendikanten, wie sie im 13. Jahrhundert aufkamen.

Augustins Erbsündenlehre als Entsprechung seiner Gotteslehre

Peccatum – Peccatum originale: Mathijs Lamberights, Professor für Kirchengeschichte im belgischen Löwen und Präsident des Komitees für Augustinus-Studien im niederländischen Tilburg, auch verantwortlich für das Studienzentrum für Jansenismusforschung in Löwen, der Wirkungsstätte von Cornelius Jansenius d. J. (1585–1638), des Verfassers des 1640 posthum erschienenen, am Beginn des Jansenismus stehendenWerkes „Augustinus“, ist Autor der beiden englischsprachigen Artikel „Peccatum“ (Sünde) und „Peccatum originale“ (Erbsünde). Was letztere betrifft, so arbeitet er heraus, wie von den ersten Schriften des Augustinus an vor dem Hintergrund seiner Auseinandersetzung mit dem Pelagianismus – der mit dem britischen Mönch Pelagius († nach 418) verbundenen und auf Betreiben des Augustinus von der Synode von Karthago von 411 verurteilten Lehre, die die Erbsündenlehre ablehnte und die Willensfreiheit des Menschen betonte, der sich aus eigener Kraft, wenn auch getragen von der Gnade Gottes, für das Gute entscheiden und so das Heil erlangen könne – in seiner theologischen Argumentation Paulusstellen wie Röm 5,12 eine immer größere Rolle spielten, in dem Sinne, dass – um es aus dem Englischen zu übersetzen – wir alle schuldig geboren sind, weil wir alle an Adam und seiner Sünde teilhaben und nicht nur die Folgen seiner Sünde tragen, sondern auch verdienen, von einem gerechten Gott bestraft zu werden. Alles in allem, so Lamberights, erscheine Augustins Erbsündenlehre eher als folgerichtige Entsprechung denn als Voraussetzung seiner Gottes- und Gnadenlehre.

Praedestinatio: Der evangelische Theologe und Tübinger Professor für Alte Kirchengeschichte Volker Henning Drecoll liefert eine eingehende Darstellung des Gedankens der Prädestinatio oder Vorherbestimmung des Menschen zum göttlichenHeil bei Augustinus. Der Verfasser der 1999 publizierten Habilitationsschrift „Die Entstehung der Gnadenlehre Augustins“ zeigt, dass bei Augustinus die Prädestination vorzeitig, das heißt vor der Schöpfung erfolgt. Gott hat „ante omnia tempora“ (vor aller Zeit) unveränderbar die Erwählung oder Nichterwählung jedes Menschen festgelegt. „Gott weiß vorher, wer glauben und würdig leben wird und wer nicht. Entsprechend erwählt er diejenigen, von denen er weiß, dass sie glauben werden, und beruft sie“, wobei die Berufung den Glauben hervorruft.

Die als Gnadenwahl erfolgende Prädestination bleibt dem Menschen verborgen

Dabei bleibt die als Gnadenwahl erfolgende Prädestination dem Menschen verborgen – im Gegensatz zu dem, was der Soziologe Max Weber (1864–1920) in seinem Aufsatz „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ von 1905 aus den Schriften englischer und amerikanischer puritanischer Moraltheologen herauszulesen meinte. Für den Menschen war es nach Augustinus in seiner Schrift „De correptione et gratia liber unus“, so Drecoll, also unmöglich, zwischen Prädestinierten und Nicht-Prädestinierten zu unterscheiden, so unmöglich, dass auch Feinde des Glaubens, ohne es selbst zu wissen, prädestiniert sein können und erlöst werden. Zur „praedestinatio duplex“ (doppelte Prädestination) oder der Vorherbestimmung der einen zur ewigen Seligkeit und der anderen zur ewigen Verdammnis, wie sie im 16. Jahrhundert vor allem von Jean Calvin (1509–1564) in seiner „Institutio Religionis Christianae“ vertreten wurde, finden sich nach Drecoll bei Augustinus zwar mitunter Formulierungen, die in diese Richtung gehen, doch ist seinem Denken „eine Gleichartigkeit zwischen Erwählung und Nichterwählung“ eher fremd.

Robert Dodaro, Cornelius Mayer OSA und Christof Müller (Hrsg.): Augustinus- Lexikon, Band 4, Schwabe-Verlag Basel, ISBN 978-3-7965-3723-3, EUR 380,–   

© Die Tagespost vom 25.06.2020, Seite 14 (siehe Online-Fassung unter www.die-tagespost.de)

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