ZENTRUM FÜR AUGUSTINUS-FORSCHUNG

AN DER JULIUS-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT WÜRZBURG

Augustinus - Vater der abendländischen Theologie (3)
Der Bischof von Hippo und der Staat im Dienst der Kirche

Von Rüdiger Achenbach

"Die Kirche war zum Bersten angefüllt mit Gläubigen. Die Apsis erstrahlte im Glanz unzähliger Kerzen. Dort saß der greise Bischof Valerius, ein gebürtiger Grieche. In seinem mühsamen Latein mit fremdländischem Akzent erklärte er den versammelten Gläubigen, er leide an den Folgen des Alters und bedürfe vor allem bei der Ausübung seines Predigtamtes der Hilfe eines jungen Geistlichen.
Eben in diesem Moment hatte Augustinus die Basilika betreten und versuchte nun sich einen Weg durch die Menge zu bahnen, um weiter ins Innere vorzudringen.
Da hörte er plötzlich, wie das Volk laut seinen Namen rief: Augustinus, Augustinus!
Und schon ergriffen ihn zahlreiche Hände, trugen ihn zum Chor und ließen ihn vor den Füßen des Bischofs nieder, der ihn ohne Zögern sofort zum Priester weihte."

Possidius, der Schüler und Biograph des Augustinus, schildert das Ereignis wie eine Szene in einem Drehbuch. Sein Lehrer, sagte er, habe ihm dieses Ereignis genau so geschildert.

Tatsächlich hatte Augustinus sich im Jahr 391 zufällig in der nordafrikanischen Hafenstadt Hippo Regius aufgehalten, um einen Freund zu besuchen. Und während eines Kirchganges war er auf die Bitte der Stadtbevölkerung hin zum Priester geweiht worden. Dies wird aber kaum ohne seine Zustimmung geschehen sein.

Und jedermann, auch Augustinus, wusste, dass er damit zum Nachfolger des alten Valerius ins Bischofsamt berufen worden war. Obwohl er gerade das bisher immer vermeiden wollte.

"Ich fürchtete das Bischofsamt so sehr, dass ich, sobald mein Ruf unter den 'Dienern Gottes' eine Rolle spielte, in keinen Ort mehr ging, von dem ich wusste, dass es dort keinen Bischof gab."

Die „Diener Gottes“, die „servi Dei“, nannte man die klosterähnliche Lebensgemeinschaft die Augustinus nach seiner Rückkehr nach Nordafrika auf dem Familienbesitz in Tagaste gegründet hatte. Dort lebte er mit seinen Freunden. Sein Sohn Adeodatus war bereits im Jahr 390 im Alter von 18 Jahren verstorben. Durch sein klosterähnliches Leben in Tagaste wurde Augustinus zum Begründer des Mönchtums in der abendländischen Kirche. Monnica, seine Mutter, hatte diese Entwicklung ihres Sohnes nicht mehr miterlebt. Sie war schon 388 während der Rückreise nach Nordafrika überraschend in Italien gestorben.

Auch wenn Augustinus kurz nach seiner Priesterweihe offiziell zum Mitbischof in Hippo eingesetzt worden war, gab er sein klösterliches Leben nicht auf.

Doch ein konsequent monastisches Leben war für Augustinus nun durch sein neues Amt nicht mehr möglich. Er wurde jetzt direkt in die kirchenpolitischen Wirren hineingezogen.

Eine besondere Herausforderung für die christliche Kirche in Nordafrika war die Kirche der Donatisten, die sich von der katholischen abgespalten hatte. Der Donatismus, der von Bischof Donatus gegründet worden war, hatte seine Wurzeln in der Zeit der Christenverfolgung. Denn damals war durch den Staat von den Bischöfen verlangt worden, die Heiligen Schriften der Kirche auszuliefern. Viele Bischöfe, die dies unter dem Druck der Verfolgung getan hatten, wurden später von Donatus und seinen Anhängern abgelehnt. Für sie waren diese Kleriker Verräter des Glaubens, die eher als Märtyrer hätten sterben müssen, bevor sie die Heiligen Schriften aushändigten. Da sie mit diesen Verrätern nicht in einer Kirche bleiben wollten, kam es in Nordafrika zur Kirchenspaltung. In jeder Stadt und in jedem Dorf gab es von da an zwei konkurrierende Kirchen, die katholische und die der Donatisten, die für eine kompromisslose christliche Lebensführung eintraten.

Die elitäre Position der Donatisten, die einzig wahre und reine christliche Kirche zu sein, führte auch zu einer Reihe von Sonderpraktiken. Sie erkannten zum Beispiel die katholische Taufe nicht an und forderten für alle, die zu ihnen übertraten, eine Wiedertaufe. Diese Praxis war natürlich für die katholische Kirche ein Affront.

Und Augustinus wurde nun zum Hauptanwalt der katholischen Sache.

Da es im 4. Jahrhundert noch keine klaren dogmatischen Definitionen gab, suchte Augustinus die theologische Auseinandersetzung mit den Donatisten.

Dazu der Kirchenhistoriker Wilhelm Geerlings: "Der Begriff des Sakraments darf nicht im heutigen Sinn verstanden werden. Der Begriff Sakrament hat bei Augustinus – wie in der gesamten damaligen Theologie – eine große Spannbreite. Es können dies religiöse Riten, fromme Bräuche, geheimnisvolle Lehren und dunkle Stellen der Schrift sein. Das alles sind damals 'sacramenta', weil sie den Menschen vom Äußeren wegführen zum inneren Geheimnis."

Da die Donatisten jeden Bischof ablehnten, der nach ihrer Meinung in der Tradition der Verräter stand, erklärten sie kurzerhand alle kirchlichen Amtshandlungen der katholischen Kirche für ungültig. Hier setzt denn auch Augustinus mit seiner Kritik an, indem er klarstellt, dass etwa bei der Taufe nicht der Bischof oder Priester, sondern Gott derjenige ist, der das Sakrament spendet. Denn die Gnade kommt von Gott selbst, nicht aber vom Kleriker, der sie formell weitergibt. Augustinus macht das an einem Bild deutlich:

"Ob das Rohr, durch welches Wasser fließt, aus Blei oder Gold ist, spielt keine Rolle. Entscheidend ist, dass das Wasser fließt."

Damit wird die Vorstellung der Donatisten kategorisch zurückgewiesen, dass es Bischöfe und Priester gebe, die unwürdig seien, die Sakramente zu spenden.

Nach Augustinus kann der Empfänger eines Sakraments sicher sein, dass ihm die Gnade gewährt wird, völlig unabhängig von der persönlichen Lebensführung des spendenden Geistlichen.

Doch die Donatisten hielten an ihrer fundamentalistischen Position fest und trugen dadurch auch zu einer Polarisierung der gesamten Bevölkerung bei.

Die Trennung in katholisch oder donatistisch verlief oft quer durch die Familien. Und die Feindschaft führte zum Beispiel dazu, dass es donatistischen Bäckern verboten war, für Katholiken Brot zu backen. Vor allem die radikal-fanatischen Gruppen in der donatistischen Kirche sorgten dafür, dass die Auseinandersetzung zunehmend in Gewalt umschlug. Dazu der Cambridger Kirchenhistoriker Henry Chadwick:

"Die Liste der katholischen Geistlichen, die zum Krüppel geschlagen wurden oder erblindeten, nachdem ihnen Kalk und Essig in die Augen geworfen worden war, oder die regelrecht zu Tode kamen, war keineswegs kurz. Augustin selbst entging einmal einem donatistischen Anschlag, durch den er für immer zum Schweigen gebracht werden sollte."

Nachdem Augustinus dann im Jahr 396, nach dem Tod des Valerius, alleiniger Bischof von Hippo Regius wurde, stieg er - besonders durch seine Auseinandersetzung mit den Donatisten - zu einem der führenden Vertreter der katholischen Kirche in Nordafrika auf. Er wurde nun zu einem leidenschaftlicher Verteidiger der katholischen Staatskirche, während die Donatisten die Religion und den Staat streng voneinander trennten. Außerdem war Augustinus bisher der Meinung gewesen, dass niemand in der Kirche zu etwas gezwungen werden dürfe. Jetzt änderte er seine Meinung. Er war nun sogar dafür, die Donatisten mit staatlichen Zwangsmaßnahmen in die katholische Kirche zurückzuführen. In einem Brief an einen katholischen Bischof rechtfertigt er sogar die Anwendung von Gewalt.

"Schließlich zwingen doch auch die Eltern ihre Kinder zum Gehorsam und die Lehrer ihre Schüler zur Arbeit, wofür man ihnen nachträglich dankbar ist. Und da meinst du, man dürfe keine Gewalt anwenden, um einen Menschen vom Verderben des Irrtums frei zu machen."

Und mit Berufung auf das Lukas-Evangelium prägt er seine berühmte und oft kritisierte Formel: „cogite intrare“, also: „zwingt sie, einzutreten“.

Damit schlägt er kirchenpolitisch in seiner Zeit einen völlig neuen Kurs ein.

Der Augustinus-Forscher Uwe Neumann: "Augustinus’ Vorgehen ist ein Tabubruch; er ist der erste, der von der Staatsmacht für die Durchsetzung kirchlicher Ziele Gebrauch machte."

Die Härte, mit der Augustinus im Kampf gegen die Donatisten vorging, hängt unmittelbar mit seinem pessimistischen Menschenbild zusammen. Nach seiner Überzeugung ist der Mensch durch die Erbsünde im Grunde verloren und kann nur durch die göttliche Gnade gerettet werden. Doch diese Gnade wird letztlich nur wenigen auserwählten Menschen zuteil, die meisten werden ohnehin auf ewig verdammt. Uwe Neumann: "Angesichts einer solchen Ansicht fiel es Augustinus nicht schwer, den Tod unzähliger Menschen in Kauf zu nehmen."

Augustinus hat schließlich auch mit Genugtuung feststellen können, dass die Kirche der Donatisten durch die staatliche Verfolgung sehr schnell wie ein Kartenhaus zusammenfiel. Die Häretiker wurden überwunden, auch wenn viele unter Zwang nur zum Schein wieder in die katholische Kirche zurückkehrten. Der Kirchenhistoriker Hans von Campenhausen: "Über die Erfolge, die so errungen wurden, hat Augustinus sich in peinlicher Weise getäuscht. Mit den Zwangsbekehrungen der Donatisten beginnt der Niedergang der einst so stolzen afrikanischen Kirche. Schließlich ist sie als einzige Kirche im Mittelmeerraum später durch die Überflutung der Muslime im 7. Jahrhundert spurlos verschwunden. Es scheint, dass die einstigen Donatisten die Araber als Befreier begrüßt haben. Jedenfalls wurde das 'katholische' Erbe von ihnen nicht mehr ernsthaft verteidigt."

Doch zunächst erweist sich die nordafrikanische Kirche immer noch als Bollwerk christlich-katholischer Gesinnung. Und ihre Stimme ist innerhalb der katholischen Kirche des Abendlandes nicht zu überhören. Anders als die Donatisten legte die katholische Kirche in Nordafrika großen Wert auf die Kirchengemeinschaft mit Rom und die apostolische Sukzession.

Allerdings wachte die katholische Kirche in Nordafrika – trotz aller Verbundenheit mit Rom – sehr streng darüber, dass sich niemand von außen in ihre inneren Angelegenheiten einmischte. Aus diesem Grund beschlossen die Bischöfe sogar auf einer Synode, dass kein nordafrikanischer Kleriker es wagen solle, sich mit seinen Anliegen an die römische Kirche zu wenden.

Eine von den römischen Bischöfen geforderte Lehr- und Jurisdiktionsgewalt über die gesamte Kirche wurde von der nordafrikanischen Kirche grundsätzlich abgelehnt.

Auch Augustinus hob hervor, dass Christus die Schlüsselgewalt nicht dem Petrus als Individuum oder seinen Amtsnachfolgern, den römischen Bischöfen, verliehen habe, sondern der wahren Kirche, die durch das Konzil repräsentiert werde.

Dem Nachfolger Petri in Rom wurde lediglich ein Ehrenvorsitz zugebilligt. Entsprechend lautet auch die klare Absage, die Augustinus den römischen Bischöfen erteilt:

"Wir Christen glauben nicht an Petrus, sondern an den, an welchen auch Petrus glaubte. ... Wir sind Christen und keine Petriner!"

Diese klare Grenzziehung gegenüber den besonderen Machtansprüchen in Rom war damals in der abendländischen Kirche nichts Außergewöhnliches. Ein Papsttum, wie es später entstand, hatte sich zu dieser Zeit noch nicht etabliert.

Die Einheit der abendländischen Kirche stand auch ohne Machtzentrum in Rom nicht in Frage. Doch schon bald sollte Augustinus erleben, dass die Auswirkungen der Völkerwanderung die Kirche im Römischen Reich vor völlig neue Herausforderungen stellten.

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© DLF - Gesendet: 03.01.2008

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