ZENTRUM FÜR AUGUSTINUS-FORSCHUNG

AN DER JULIUS-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT WÜRZBURG

5-teilige Serie im "Würzburger katholischen Sonntagsblatt"
Kirchenvater Augustinus und seine Zeit

 

Für viele Rompilger ist dies ein Pflichttermin: am Mittwoch die Teilnahme an der Generalaudienz mit dem Papst. Benedikt XVI. beschäftigt sich seit einigen Monaten mit den Kirchenvätern. Dem heiligen Augustinus (354-430) hat er fünf Katechesen gewidmet. Anknüpfend an diese Predigten des Papstes will das „Würzburger katholische Sonntagsblatt“ mit einer Artikelserie dazu beitragen, den heiligen Augustinus, sein Leben und seine Bedeutung besser zu verstehen. Der heilige Augustinus starb am 28. August 430 im Alter von 76 Jahren. Sein Tod fällt in eine Zeit, in der sich die Welt der römischen Antike dem Ende zuneigte. Diese Parallele machte Papst Benedikt XVI. zur Grundlage seiner (zweiten) Katechese über den heiligen Augustinus am 16. Januar 2008. Der nachfolgende erste Artikel beleuchtet die politischen Ereignisse der Zeit, im zweiten wird das tägliche Leben genauer betrachtet. Der dritte und vierte Beitrag sind der Kirche zur Zeit Augustins gewidmet und beim letzten geht es um die Frage, auf welchem Weg uns Augustins Werk erreicht hat.
Übersicht der einzelnen Beiträge:

Augustinus und seine Zeit (Sonntagsblatt Nr. 16/2008)
Der Umbruch durch das Christentum (Sonntagsblatt Nr. 22/2008)
Die kirchliche Lehre (Sonntagsblatt Nr. 27/2008)
Der Weg in die Kirche (Sonntagsblatt Nr. 31/2008)
Die Überlieferung der Werke des hl. Augustinus (Sonntagsblatt Nr. 35/2008)

Augustinus und seine Zeit (1)
Der Untergang der antiken Welt

Von Claudia Kock

Als Augustinus 354 geboren wurde, war Rom bereits über 1000 Jahre alt und herrschte über ein Weltreich. Das einstige nordafrikanische Königreich Numidien, in dem Augustins Geburtsort Thagaste lag, war unter Julius Caesar der römischen Provinz Afrika einverleibt geworden und stand nunmehr seit 400 Jahren unter dem Einfluss der römischen Kultur, die die ursprüngliche berberische Kultur an den Rand gedrängt, wenn auch nicht völlig zerstört hatte. Einige Bevölkerungsteile sprachen noch die berberische Sprache, und auch Augustins Mutter Monnica – die wir heute als die hl. Monika verehren – kam vielleicht aus diesem Volksstamm. Das römische Element überwog jedoch bei weitem. Augustins Muttersprache war Latein, und die Familie besaß die römische Staatsbürgerschaft, die Kaiser Caracalla 212 n. Chr. allen freigeborenen Einwohnern der römischen Provinzen zuerkannt hatte.

Rom war zur Zeit der Geburt Augustins allerdings schon seit einer Generation nicht mehr Reichshauptstadt, denn diese hatte Kaiser Konstantin 330 nach Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, verlegt. Er war der erste Christ auf dem römischen Kaiserthron. Obgleich er sich vielleicht erst auf dem Sterbebett taufen ließ, weisen schriftliche und archäologische Quellen ihn als überzeugten Christen aus.

Von herausragender Wirkung war das Toleranzedikt von Mailand (313), das den Christen im Reich die volle Religionsfreiheit gab und die Verfolgungen beendete. Augustinus wurde also in ein christliches Kaiserreich hineingeboren, auch wenn in seine Kindheit die kurze Herrschaft von Kaiser Julian Apostata (361-363) fällt, der erfolglos versuchte, den Siegeszug des Christentums aufzuhalten.

Während sich innenpolitisch die kaiserliche Macht im neuen christlichen Reich festigte, zeichneten sich außerhalb der Reichsgrenzen Schatten ab, die gegen Ende des 4. Jahrhunderts immer drohender wurden: die Ereignisse der Völkerwanderung. Eingesetzt hatte diese bereits Jahrhunderte zuvor. Bedingt durch Klimawandel und Bevölkerungszuwachs, aber auch aus Eroberungs- und Abenteuerlust hatten sich bereits seit dem 2. Jahrhundert vor Christus einige Völkerschaften nördlich und östlich des Reiches in Bewegung gesetzt, auf der Suche nach neuen Siedlungsgebieten. Verhängnisvoll für das Römische Reich wurden diese Wanderungsbewegungen jedoch erst ab 375. In diesem Jahr fielen die aus China vertriebenen Hunnen in das Schwarzmeergebiet ein, wo sie das Ostgotenreich zerstörten. Nur drei Jahre später kam es zur ersten Niederlage der Römer im Reichsgebiet selbst: Nachdem die Hunnen das Ostgotenreich überrannt hatten, griffen sie auch die Westgoten im Gebiet des heutigen Transsilvanien an. Diese setzten über die Donau in das Römische Reich. 378 besiegten und töteten sie Kaiser Valens in der Schlacht bei Hadrianopel. Dieses Ereignis wurde für die Zeitgenossen zum Symbol der drohenden Gefahr. Die Goten waren im Begriff, den Balkan zu erobern und waren dann nicht mehr fern von Italien und von Rom selbst. Der junge Augustinus erfuhr von diesen Vorgängen in Karthago, wo er Rhetorik lehrte und zur Sekte der Manichäer gehörte.

386 bekehrte er sich jedoch zum Christentum, das Kaiser Theodosius I. fünf Jahre später – dem Jahr der Priesterweihe Augustins – zur Staatsreligion erklärte. 395 wurde Augustin Bischof von Hippo, und im selben Jahr starb Theodosius. Auf dem Sterbebett teilte er das Reich: Den Osten erhielt sein älterer Sohn Arcadius, den Westen dagegen Honorius, der noch ein Kind war und unter der Vormundschaft des Generals Stilicho stand. Dieser versuchte vergeblich, den Vormarsch der Westgoten aufzuhalten. 410 plünderten sie unter Alarich Rom – ein Ereignis, das sich in das Bewusstsein der Zeit tief einprägte und das Augustinus zu seinem tiefgründigen geschichtstheologischen Monumentalwerk veranlasste: „De Civitate Dei“ – Vom Gottesstaat.

Schließlich erreichte die Völkerwanderungswelle auch Afrika. Die von den Westgoten aus ihren Siedlungsgebieten verdrängten Vandalen wurden von Stilicho – selbst ein Halbvandale und damit ein Kind der Völkerwanderung – in Spanien angesiedelt, von wo aus sie 429 nach Afrika übersetzten. Im August 430 standen sie vor den Toren von Hippo. Während der Belagerung starb Augustinus in der Hoffnung auf die Auferstehung in der neuen Welt. Wenige Jahrzehnte später setzte der germanische Heerführer Odoaker den letzten weströmischen Kaiser ab: Die antiken Welt ging zu Ende und eine neue Zeit brach an.

Folge 2 >

© Würzburger Katholisches Sonntagsblatt - Nr. 16 vom 20.4.2008, Seite 8

Wir danken der Redaktion für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung in unserem Webportal.

 


Kirchenvater Augustinus und seine Zeit (Folge 2)
Der Umbruch durch das Christentum

In der ersten Folge der Reihe (in Nr. 16) wurde deutlich, dass die politischen Ereignisse zur Zeit Augustins zu einem großen Umbruch führten. In dieser Folge soll nun der Umbruch innerhalb der Gesellschaft dargelegt werden, den das Christentum mit sich brachte. Vor diesem Hintergrund ist der Lebenslauf Augustins, den Papst Benedikt XVI. in seiner Katechese vom 9. Januar darlegte, besser zu verstehen.

Von Claudia Kock

Im Jahr 321 führte Kaiser Konstantin den Sonntag in den römischen Kalender ein und legte damit einen der Grundsteine der christlichen Zivilisation. Vorher kannte der römische Kalender keine Wochen, sondern nur Monate und unregelmäßig über das Jahr verteilte Festtage. Der arbeitsfreie Sonntag sollte den Christen die Teilnahme an der wöchentlichen Eucharistiefeier ermöglichen und gab dem ganzen Leben einen neuen Rhythmus. Gleichzeitig wurden die Gladiatorenspiele verboten, die oft mit den heidnischen Festen verbunden waren. Dieses Verbot war jedoch nur schwer durchzusetzen, da die Spiele beim Volk äußerst beliebt waren. Augustinus wetterte in seinen Predigten oft gegen die Unsitte vieler Christen, erst den Gottesdienst und dann das Amphitheater oder den Zirkus zu besuchen, sich erst zu bekreuzigen und dann das Vergnügen zu suchen an den Stätten, an denen viele Märtyrer ihr Leben lassen mussten. Am Neujahrsfest des Jahres 404 ersann er eine List: Er predigte mehrere Stunden lang, um zu verhindern, dass seine Gemeinde an den heidnischen Feiern teilnehmen konnte.

In Bezug auf von Ehe und Familie, den Grundpfeilern der Gesellschaft, mussten die Menschen ebenso umdenken. Die Ehe war eine soziale Realität mit rechtlichen Folgen, sie wurde aber nirgends amtlich registriert, sondern wurde in privatem Rahmen durch einen besonderen Ritus geschlossen, bei dem die Verlobten ihren Ehewillen bekundeten. Dementsprechend einfach war auch die Ehescheidung: Es genügte, wenn einer der Ehepartner seinen Scheidungswillen zum Ausdruck brachte und den gemeinsamen Haushalt dauerhaft verließ.

Auch der nicht mit einer Scheidung verbundene Ehebruch hatte einen Stellenwert, der nur aus dem römischen Rechtsdenken heraus verständlich ist. Aufgrund der „patria potestas“, dem Prinzip, dass ein ehelich geborenes Kind unter der Vormundschaft des Vaters steht und erbberechtigt ist, war es notwendig, dass die Vaterschaft eines Kindes feststand. Brach eine verheiratete Frau ihre Ehe, so war diese Sicherheit nicht mehr gegeben. Für den Mann dagegen war der Ehebruch nur dann ein Delikt, wenn er mit der Frau eines anderen Mann stattfand. So war der Ehemann nicht zur Treue gegenüber seiner Frau verpflichtet, wohl aber die Ehefrau gegenüber ihrem Mann. Unauflöslichkeit der Ehe und absolute Treue beider Partner zueinander gehören jedoch wesentlich zur Lehre Christi. Für die Christen ist die Ehe nicht nur soziale Realität, sondern ein Sakrament. Augustinus trug maßgeblich zur Entwicklung einer christlichen Ehelehre bei. „Proles“ (Kinder), „fides“ (Treue), „sacramentum“ (Sakrament, also sichtbares Zeichen einer unsichtbaren göttlichen Realität) sind für ihn die Grundlagen der christlichen Ehe. Und unermüdlich predigte Augustinus seiner Gemeinde dieses neue, tiefe Verständnis der Ehe in Christus. Die Eheleute, die nach diesem neuen Ideal lebten und es an ihre Umgebung und ihre Kinder weitergaben, leisteten einen großen Beitrag zur Evangelisierung der Gesellschaft, der ebenso wichtig war wie die neue Gesetzgebung der christlichen Kaiser.

Augustinus selbst hatte zwar einen Sohn, war aber nicht im rechtlichen Sinne verheiratet. Nicht jedes Paar, das zusammenlebte und vielleicht sogar eine rechtsgültige Ehe gewollt hätte, konnte eine solche schließen, denn es gab Ehehindernisse wie enge Blutsverwandtschaft, Geisteskrankheit oder Unterschiede im sozialen Stand. Man sprach dann von einem Konkubinat, das wie eine Ehe geführt wurde, aber nicht deren rechtliche Folgen besaß. Wahrscheinlich gab es für Augustinus und die Mutter seines Sohnes ein solches Ehehindernis.

Ein weiteres Ehehindernis war persönliche Unfreiheit. Sklaven konnten zwar zusammenleben und auch Kinder haben, aber ohne rechtliche Konsequenzen. Die Sklaverei wurde im christlichen Reich zwar nicht abgeschafft, aber nach und nach humanisiert. Ein wichtiger Schritt war ein Gesetz Kaiser Konstantins, das die vorsätzliche Tötung eines Sklaven als Mord ahndete. Der Sklave war damit von einer Sache zu einer Person geworden, und so wandelte sich langsam die Mentalität.

Augustinus ging schließlich den Weg in das Priesteramt und in ein zölibatäres Leben. Freiwillige Ehelosigkeit war eine neue Lebensform, die durch das Christentum in die römische Welt hineinkam. Vorher war Ehelosigkeit mit einem Makel belegt und zeitweise sogar unter Strafe gestellt. Mit Christus jedoch war eine neue Zeit angebrochen. Viele Menschen, Männer und Frauen, machten sich auf die Suche nach einem neuen Leben, in dem die Gottes- und Nächstenliebe im Vordergrund stehen sollte. Sie verließen ihre Sicherheit gebenden Familien im Vertrauen auf Gott, verschenkten ihr Vermögen, gründeten Gemeinschaften oder lebten in Abgeschiedenheit ein einfaches Leben der Suche nach Gott und des Dienstes an den Armen. Die Welt war im Umbruch. Nicht nur äußerlich prägte die Wanderung der Völker das Bild einer sich erneuernden Welt, auch innerlich waren die Menschen unterwegs, auf der Suche nach neuen Horizonten, die der Glaube und das Vertrauen auf Christus und seinen Weg vor ihnen ausbreitete.

< Folge 1 Folge 3 >

© Würzburger Katholisches Sonntagsblatt - Nr. 22 vom 1.6.2008, Seite 8

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Kirchenvater Augustinus und seine Zeit (Folge 3)
Die kirchliche Lehre

Das Verhältnis zwischen Glaube und Vernunft hat in Augustins Leben eine grundlegende Rolle gespielt. Papst Benedikt XVI. ist darauf in seiner Katechese am 30. Januar eingegangen (Text: www.vatican.va). Im 4. und 5. Jahrhundert wurde die kirchliche Lehre immer tiefer durchdacht. Die theologischen Einsichten und Entwicklungen jener Zeit sind noch heute grundlegend für den christlichen Glauben.

Von Claudia Kock

Augustinus suchte Zeit seines Lebens nach der Wahrheit. Als er sie in Christus gefunden hatte, wollte er sie immer tiefer ergründen und versuchte, sie seinen Mitmenschen zu vermitteln. So entstanden Werke von großer theologischer Tiefe, aber auch Predigten und Briefe, die in einfachen Worten die theologischen Erkenntnisse im täglichen Leben der Menschen fruchtbar machen sollten.

Ebenso wie er waren im 4. und 5. Jahrhundert viele andere große Theologen um die Vertiefung und Verbreitung der christlichen Lehre bemüht: Hilarius von Poitiers, Basilius von Cäsarea, Gregor von Nyssa, Gregor von Nazianz, Cyrill von Jerusalem, Ambrosius, Johannes Chrysostomos, Hieronymus, Athanasius und viele andere. Noch heute sind die Werke der Kirchenväter die Grundlage allen theologischen Denkens.

Augustinus wollte jedoch den Glauben nicht nur „durchdenken“, sondern ihn auch radikal leben. Er führte in Nordafrika ein monastisches Leben in Gemeinschaft mit anderen. Diese Form des Mönchtums breitete sich in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts immer mehr aus: Männer oder Frauen schlossen sich zusammen zu monastischen Gemeinschaften, die nicht mehr wie die ersten Mönche in der Einsamkeit der Wüste lebten, sondern in einem abgegrenzten Lebensraum innerhalb der Städte, der „Klausur“. Durch die Radikalität ihres ganz am Evangelium ausgerichteten Lebens traten sie gewissermaßen an die Stelle der Märtyrer der Verfolgungszeiten, lebten eine Art „weißes Martyrium“, das zwar nicht das Blutzeugnis erforderte, aber dennoch einen Verzicht auf alles Weltliche bedeutete, ein Sterben für die Welt und radikal neues Leben in Gott. Im monastischen Umfeld entstanden neben großen Werken christlicher Spiritualität Regeln für das Gemeinschaftsleben – wie die Augustinusregel, nach der noch heute viele verschiedene Ordensgemeinschaften auf der ganzen Welt leben.

Die Grundpfeiler des christlichen Lebens waren stets die Bibel und die Liturgie. Neben den Schriften des Alten Testaments enthält die Bibel 27 neutestamentliche Schriften: 4 Evangelien, die Apostelgeschichte, Briefe einzelner Apostel an die Christen sowie die Offenbarung des Johannes. Nur diese Schriften erkennt die Kirche als das inspirierte Wort Gottes an, das in der Liturgie verkündigt wird. Man bezeichnet sie in ihrer Gesamtheit als den „Kanon“ der Heiligen Schrift, und eben dieser Kanon wurde zu Lebzeiten Augustins festgelegt. Er findet sich zum ersten Mal in einem Brief des hl. Athanasius aus dem Jahr 367. Vorher zirkulierten in den Gemeinden noch weitere Evangelien, Briefe und Offenbarungen. Sie gehören zwar zur altchristlichen Literatur, sind aber nicht Wort Gottes und haben keinen liturgische Bedeutung. Hier wird deutlich, wie sehr die Heilige Schrift, die Liturgie und die Überlieferung der Kirche in Wechselbeziehung zueinander stehen. Der katholische Glaube und die Liturgie leben aus dem Wort Gottes, dieses wiederum wird in der Liturgie verkündet und in der Überlieferung der Kirche bewahrt und ausgelegt. Die Heilige Schrift und die Kirche sind eng miteinander verwoben und bilden ein untrennbares Ganzes.

Die Schriften des Alten Testaments waren überwiegend in hebräischer Sprache verfasst, einige von ihnen, ebenso wie das gesamte Neue Testament, in Griechisch. Der hl. Hieronymus, ein Zeitgenosse Augustins, übersetzte die ganze Bibel in die damalige Volkssprache Latein und schuf so die Vulgata, den lateinischen Standardtext der Bibel, der erst 1979, nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, revidiert wurde. Vor der Vulgata kursierten andere lateinische Übersetzungen einzelner Schriften der Bibel, die heute unter dem Namen Vetus Latina zusammengefasst werden und die auch Augustinus noch benutzte. Zu seiner Zeit festigten sich also der lateinische Wortlaut und der Kanon der Heiligen Schrift als Grundlage für Liturgie und Theologie.

Diese entfaltete sich damals sehr stark. War man im 2. und 3. Jahrhundert vor allem bemüht gewesen, das Christentum gegen den jüdischen Glauben und gegen die heidnischen Religionen abzugrenzen, synkretistische Lehren – wie den Manichäismus, dem auch Augustinus in jungen Jahren anhing – abzuwehren und die damals noch junge christliche Lehre gegen die Vorwürfe der Verfolger zu verteidigen, so fand im vierten und fünften Jahrhundert ein innerkirchlicher Stabilisierungsprozess der Lehrinhalte statt, wobei die großen ökumenischen Konzile eine entscheidende Rolle spielten, auf denen die Bischöfe über Glaubensfragen verbindliche Entscheidungen fällten. Den Anfang machte 325 das Konzil von Nizäa. 381, fünf Jahre vor Augustins Bekehrung zum Christentum, formulierte das Konzil von Konstantinopel das große Glaubensbekenntnis, das auch heute noch für alle Christen gültig ist. An der folgenden Entwicklung der Lehre hatte Augustinus als Theologe maßgeblichen Anteil. Sie mündete ein in das Konzil von Ephesos im Jahre 431, zu dem auch Augustinus eingeladen war. Bevor ihn die offizielle Einladung erreichte, verstarb er jedoch in Hippo.

< Folge 2 Folge 4 >

© Würzburger Katholisches Sonntagsblatt - Nr. 27 vom 6.7.2008, Seite 8

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Kirchenvater Augustinus und seine Zeit (Folge 4)
Der Weg in die Kirche

Von Claudia Kock

Über den inneren Weg des heiligen Augustinus sprach Papst Benedikt XVI. in seiner Mittwochskatechese am 27. Februar. Als junger Mann wandte er sich vom christlichen Glauben, der ihm von seiner Mutter vermittelt worden war, ab und suchte die Wahrheit in der Philosophie und dann in der Sekte der Manichäer. Schließlich fand er durch den Einfluss des heiligen Ambrosius und durch ein persönliches Bekehrungserlebnis in den Schoß der Kirche zurück. In dieser Folge der Reihe über den Kirchenvater soll gezeigt werden, wie damals der Weg eines Christen in die Kirche und zur Teilnahme am sakramentalen Leben aussah.

Augustinus wurde, wie in der Alten Kirche üblich, als Kind nicht getauft, sondern von seiner Mutter in die Liste der Katechumenen eingeschrieben. Das Katechumenat konnte sich über viele Jahre erstrecken, solange bis der Katechumene sich entschloss, die Taufe zu empfangen. Ein besonderer Unterricht fand in dieser Zeit nicht statt, aber die Katechumenen – Jungen und Mädchen, Männer und Frauen – wurden angehalten, den sonntäglichen Gottesdienst zu besuchen und wurden durch die Liturgie in die Gemeinschaft der Gläubigen eingeführt. Sie hörten gemeinsam mit den Getauften die Lesungen aus der Heiligen Schrift, sangen die Psalmen und hörten die Predigt. So wuchsen sie langsam in die christliche Gemeinschaft hinein, lernten ihre bereits getauften oder noch ungetauften Brüder und Schwestern kennen, beteten mit ihnen, hörten mit ihnen das Wort Gottes und lernten auch im Alltagsleben von ihnen.

Von der Eucharistiefeier, die auf den Wortgottesdienst folgte, blieben die Katechumenen ausgeschlossen. Nach der Predigt verließen sie die Kirche. Der Gottesdienst hatte zur Zeit Augustins noch den Charakter eines Mysterienkultes: Der wesentliche Teil der heiligen Handlung fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt; die Teilnahme war nur den Initiierten, also den Getauften, gestattet.

Wenn die Fastenzeit sich näherte, wurden die Katechumenen ermutigt, sich für die kommende Osternacht zur Taufe anzumelden. Für die Taufbewerber fand in der Fastenzeit eine intensivere Vorbereitung statt. Sie wurden in der christlichen Lehre unterwiesen, waren einer asketischen Disziplin unterworfen und mussten sich einem Exorzismus unterziehen, um den alten Menschen abzulegen und dem Satan zu widersagen. Sie fasteten täglich bis drei Uhr nachmittags und verzichteten auf Fleisch und Wein. Sie mussten eheliche Enthaltsamkeit üben und durften bis zum Gründonnerstag nicht baden. Es wurde von ihnen erwartet, an nächtlichen Gebetsvigilien teilzunehmen und den Armen Almosen zu geben.

Zwei Wochen vor dem Karsamstag rezitierte der Bischof in einer feierlichen Zeremonie vor den Taufbewerbern das Glaubensbekenntnis und erklärte es ihnen. Es gehörte ebenso wie die Eucharistie zum Mysterium und wurde nicht im öffentlichen Teil der Liturgie gesprochen. Die Taufbewerber lernten es mit Hilfe ihrer Paten auswendig und rezitierten es in der Osternacht vor der versammelten Gemeinde. Dann wurden sie getauft, mit dem Chrisam-Öl bezeichnet und empfingen zum ersten Mal die heilige Eucharistie. Dadurch waren sie aufgenommen in die christliche Gemeinde, hineingenommen in das Mysterium, das nur den Eingeweihten vorbehalten war. Den Ausklang ihrer Initiation bildete die Osteroktav, in der sie ihr Taufkleid trugen und über die Eucharistie unterwiesen wurden.

Die Taufe war ein radikaler Bruch mit dem alten Leben und der Beginn eines neuen Lebens in Christus. Entsprechend wurde vom getauften Christen ein Lebenswandel erwartet, der der Lehre Christi entsprach. War dies offensichtlich nicht der Fall, so konnte er aus der Gemeinde ausgeschlossen und nur dann wieder aufgenommen werden, wenn er eine Zeit der öffentlichen Buße auf sich nahm.

Der Getaufte, der sich einer schweren Sünde bewusst war, konnte auch selbst um Aufnahme unter die Büßer bitten. Die Büßer waren von der Eucharistie ausgeschlossen, nahmen einen gesonderten Platz in der Kirche ein und mussten durch Gebet, Fasten und Almosengeben Buße tun, bis sie wieder zur Eucharistie zugelassen wurden. Die öffentliche Buße wurde jedoch nur einmal im Leben gewährt; danach blieb derjenige, der eine schwere Sünde begangen hatte, von der christlichen Gemeinschaft ausgeschlossen.

Die strenge Bußpraxis führte dazu, dass immer mehr Menschen die Taufe Jahr für Jahr aufschoben, oft bis zum Sterbebett, und ihr Leben lang Katechumenen blieben. Nachdem Augustinus den Manichäern den Rücken gekehrt und durch die Predigten des Ambrosius wieder zum christlichen Glauben zurückgefunden hatte, schob auch er zunächst die Taufe vor sich her. Erst sein tiefes Bekehrungserlebnis weckte in ihm den Wunsch, ganz in Christus zu leben und Teil seines mystischen Leibes, der Kirche, zu sein.

Hier traf sich sein innerer Weg mit dem äußeren Weg der Kirche. Seine persönliche Bekehrung mündete ein in die Taufe und damit in das öffentliche Bekenntnis zu Christus. Diesen Weg sollte er bis zu seinem Tod immer mehr verinnerlichen und vertiefen.

< Folge 3 Folge 5 >

© Würzburger Katholisches Sonntagsblatt - Nr. 31 vom 3.8.2008, Seite 8

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Kirchenvater Augustinus und seine Zeit (Folge 5 – Schluss)
Die Überlieferung der Werke des hl. Augustinus

Augustinus hat ein immenses Werk hinterlassen: umfangreiche theologische und philosophische Schriften, Exegesen der Hl. Schrift, Predigten, Briefe und verschiedenes mehr. Auf diese Werke ist Papst Benedikt XVI. in seiner Katechese am 20. Februar näher eingegangen. Wenn wir heute eines seiner Werke in Händen haben, so hat es einen langen Weg hinter sich. In diesem Beitrag soll der Frage nachgegangen werden, wie die Werke aus der Antike zu uns gekommen sind.

Von Claudia Kock

Einen Buchautor stellen wir uns am Schreibtisch sitzend vor, mit einem Schreibgerät in der Hand oder heute vor dem Computer. In der Antike war es anders. Der Autor, und Augustinus war hier keine Ausnahme, schrieb nicht selbst, sondern diktierte die im Kopf formulierten Sätze einem Sekretär, der sie niederschrieb. Dieser bediente sich dazu meist der so genannten „Tironischen Noten“, einer Kurzschrift, die ein Sekretär Ciceros einst entwickelt hatte und die bis ins Mittelalter hinein verwendet wurde. Der Sekretär brachte den Text dann in Reinschrift und übergab ihn dem Autor zur Überarbeitung.

Stand die endgültige Fassung des Textes fest, so ging es an die Herstellung des Buches oder Codex. Es wurde mit pflanzlich gewonnener Tinte meist auf Pergament aus Kalbs- oder Schafhaut geschrieben. Die Herstellung eines solchen Codex war sehr kostspielig, aber Augustinus hatte das Glück, die Herstellung seiner Bücher einem wohlhabenden Freund, Romanianus, anvertrauen zu können.

Der fertige Codex kam dann in Augustins bischöfliches Archiv. Er wurde auf Nachfrage kopiert und an andere Bibliotheken oder auch an Privatpersonen gesandt. So zirkulierten schon zu Lebzeiten Augustins viele Kopien seiner Werke im ganzen Römischen Reich. Nach heutigem Wissensstand ist vermutlich nur eine dieser ganz frühen Handschriften erhalten. Sie wird in St. Petersburg aufbewahrt und enthält u. a. eine frühe Version des Werkes „De doctrina christiana“ (Die christliche Bildung), das Augustin selbst später noch einmal überarbeitete.

Aufgrund der hohen Kosten wurde manchmal nicht das ganze Werk kopiert, sondern man machte Auszüge oder schrieb Zusammenfassungen. Viele dieser „Florilegien“ bzw. „Epitomen“ antiker Schriften sind überliefert.

Augustins Werke wurden auch nach seinem Tod und das ganze Mittelalter hindurch immer wieder kopiert, vor allem in den Klöstern. Handschriften seiner Werke finden sich in ganz Europa und haben den Weg auch in andere Kontinente gefunden. Die ältesten Handschriften entstanden in Nordafrika. Nach dem Einfall der Vandalen verlagerte sich das Zentrum nach Italien und im 7. Jahrhundert unter den Merowingern nach Frankreich. Zur Zeit der Karolinger erlebte die Vervielfältigung antiker Handschriften eine Blütezeit, nicht zuletzt durch den Einfluss Karls des Großen, dessen Lieblingsbuch Augustins „Gottesstaat“ war. Die meisten der heute erhaltenen Handschriften mit Werken Augustins stammen aus der Zeit zwischen dem 9. und dem 15. Jahrhundert. Seit dem 10. Jahrhundert wurden viele von ihnen mit wunderbaren Miniaturen ausgeschmückt.

Gegen Ende des 15. Jahrhunderts endete durch die Erfindung des Buchdrucks die handschriftliche Tradition. Der „Gottesstaat“ wurde bereits 1467 als eines der ersten Bücher in Italien gedruckt. Zahlreiche Werke Augustins finden sich unter den so genannten Inkunabeln („Wiegendrucken“), den allerersten, vor 1501 gedruckten Büchern. In Basel wurde von 1505 bis 1517 die erste Gesamtausgabe der Werke Augustins gedruckt. Die zweite entstand wenige Jahre später durch Erasmus von Rotterdam, eine dritte wurde in Antwerpen hergestellt.

Diese ersten Druckausgaben basierten auf nur wenigen, oft nur einer einzigen Handschrift. Erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts begann man, Handschriften zu sammeln, miteinander zu vergleichen und Textabweichungen aufzulisten. Auf dieser Grundlage entstand zwischen 1697 und 1700 in der Benediktinerabtei St. Maur in Frankreich die sogenannte „Mauriner-Ausgabe“ der Werke Augustins. Sie wurde Mitte des 19. Jahrhunderts in Mignes „Patrologia Latina“, das große Sammelwerk der Schriften der Kirchenväter, aufgenommen. Aus philologischer Sicht ist sie heute überholt und wird gegenwärtig nach und nach ersetzt durch sogenannte „kritische“ Ausgaben der Werke Augustins in den Reihen „Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum“ (Wien) und „Corpus Christianorum“ (Turnhout). Diese berücksichtigen alle bekannten Handschriften und bieten neben dem Text auch einen wissenschaftlichen Apparat zur Textkritik.

Hin und wieder werden bisher unbekannte Handschriften entdeckt. Der letzte aufregende Fund wurde in diesem Jahr in Erfurt gemacht, wo man eine kleine unscheinbare Handschrift aus dem 12. Jahrhundert entdeckte, die sechs bisher unbekannte oder nur teilweise bekannte Predigten des Kirchenvaters enthält.

Längst haben die Kirchenväter ins digitale Zeitalter Einzug gehalten. Augustins Werke sind gegenwärtig auf drei elektronischen Datenbanken verfügbar: der Datenbank der „Patrologia Latina“, der „Cetedoc Library of Christian Latin Texts“ und dem „Corpus Augustinianum Gissense“.

< Folge 4

© Würzburger Katholisches Sonntagsblatt - Nr. 35 vom 31.8.2008, Seite 8

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