ZENTRUM FÜR AUGUSTINUS-FORSCHUNG

AN DER JULIUS-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT WÜRZBURG

Kirchenvater Augustinus und seine Zeit (Folge 2)
Der Umbruch durch das Christentum

In der ersten Folge der Reihe (in Nr. 16) wurde deutlich, dass die politischen Ereignisse zur Zeit Augustins zu einem großen Umbruch führten. In dieser Folge soll nun der Umbruch innerhalb der Gesellschaft dargelegt werden, den das Christentum mit sich brachte. Vor diesem Hintergrund ist der Lebenslauf Augustins, den Papst Benedikt XVI. in seiner Katechese vom 9. Januar darlegte, besser zu verstehen.

Von Claudia Kock

Im Jahr 321 führte Kaiser Konstantin den Sonntag in den römischen Kalender ein und legte damit einen der Grundsteine der christlichen Zivilisation. Vorher kannte der römische Kalender keine Wochen, sondern nur Monate und unregelmäßig über das Jahr verteilte Festtage. Der arbeitsfreie Sonntag sollte den Christen die Teilnahme an der wöchentlichen Eucharistiefeier ermöglichen und gab dem ganzen Leben einen neuen Rhythmus. Gleichzeitig wurden die Gladiatorenspiele verboten, die oft mit den heidnischen Festen verbunden waren. Dieses Verbot war jedoch nur schwer durchzusetzen, da die Spiele beim Volk äußerst beliebt waren. Augustinus wetterte in seinen Predigten oft gegen die Unsitte vieler Christen, erst den Gottesdienst und dann das Amphitheater oder den Zirkus zu besuchen, sich erst zu bekreuzigen und dann das Vergnügen zu suchen an den Stätten, an denen viele Märtyrer ihr Leben lassen mussten. Am Neujahrsfest des Jahres 404 ersann er eine List: Er predigte mehrere Stunden lang, um zu verhindern, dass seine Gemeinde an den heidnischen Feiern teilnehmen konnte.

In Bezug auf von Ehe und Familie, den Grundpfeilern der Gesellschaft, mussten die Menschen ebenso umdenken. Die Ehe war eine soziale Realität mit rechtlichen Folgen, sie wurde aber nirgends amtlich registriert, sondern wurde in privatem Rahmen durch einen besonderen Ritus geschlossen, bei dem die Verlobten ihren Ehewillen bekundeten. Dementsprechend einfach war auch die Ehescheidung: Es genügte, wenn einer der Ehepartner seinen Scheidungswillen zum Ausdruck brachte und den gemeinsamen Haushalt dauerhaft verließ.

Auch der nicht mit einer Scheidung verbundene Ehebruch hatte einen Stellenwert, der nur aus dem römischen Rechtsdenken heraus verständlich ist. Aufgrund der „patria potestas“, dem Prinzip, dass ein ehelich geborenes Kind unter der Vormundschaft des Vaters steht und erbberechtigt ist, war es notwendig, dass die Vaterschaft eines Kindes feststand. Brach eine verheiratete Frau ihre Ehe, so war diese Sicherheit nicht mehr gegeben. Für den Mann dagegen war der Ehebruch nur dann ein Delikt, wenn er mit der Frau eines anderen Mann stattfand. So war der Ehemann nicht zur Treue gegenüber seiner Frau verpflichtet, wohl aber die Ehefrau gegenüber ihrem Mann. Unauflöslichkeit der Ehe und absolute Treue beider Partner zueinander gehören jedoch wesentlich zur Lehre Christi. Für die Christen ist die Ehe nicht nur soziale Realität, sondern ein Sakrament. Augustinus trug maßgeblich zur Entwicklung einer christlichen Ehelehre bei. „Proles“ (Kinder), „fides“ (Treue), „sacramentum“ (Sakrament, also sichtbares Zeichen einer unsichtbaren göttlichen Realität) sind für ihn die Grundlagen der christlichen Ehe. Und unermüdlich predigte Augustinus seiner Gemeinde dieses neue, tiefe Verständnis der Ehe in Christus. Die Eheleute, die nach diesem neuen Ideal lebten und es an ihre Umgebung und ihre Kinder weitergaben, leisteten einen großen Beitrag zur Evangelisierung der Gesellschaft, der ebenso wichtig war wie die neue Gesetzgebung der christlichen Kaiser.

Augustinus selbst hatte zwar einen Sohn, war aber nicht im rechtlichen Sinne verheiratet. Nicht jedes Paar, das zusammenlebte und vielleicht sogar eine rechtsgültige Ehe gewollt hätte, konnte eine solche schließen, denn es gab Ehehindernisse wie enge Blutsverwandtschaft, Geisteskrankheit oder Unterschiede im sozialen Stand. Man sprach dann von einem Konkubinat, das wie eine Ehe geführt wurde, aber nicht deren rechtliche Folgen besaß. Wahrscheinlich gab es für Augustinus und die Mutter seines Sohnes ein solches Ehehindernis.

Ein weiteres Ehehindernis war persönliche Unfreiheit. Sklaven konnten zwar zusammenleben und auch Kinder haben, aber ohne rechtliche Konsequenzen. Die Sklaverei wurde im christlichen Reich zwar nicht abgeschafft, aber nach und nach humanisiert. Ein wichtiger Schritt war ein Gesetz Kaiser Konstantins, das die vorsätzliche Tötung eines Sklaven als Mord ahndete. Der Sklave war damit von einer Sache zu einer Person geworden, und so wandelte sich langsam die Mentalität.

Augustinus ging schließlich den Weg in das Priesteramt und in ein zölibatäres Leben. Freiwillige Ehelosigkeit war eine neue Lebensform, die durch das Christentum in die römische Welt hineinkam. Vorher war Ehelosigkeit mit einem Makel belegt und zeitweise sogar unter Strafe gestellt. Mit Christus jedoch war eine neue Zeit angebrochen. Viele Menschen, Männer und Frauen, machten sich auf die Suche nach einem neuen Leben, in dem die Gottes- und Nächstenliebe im Vordergrund stehen sollte. Sie verließen ihre Sicherheit gebenden Familien im Vertrauen auf Gott, verschenkten ihr Vermögen, gründeten Gemeinschaften oder lebten in Abgeschiedenheit ein einfaches Leben der Suche nach Gott und des Dienstes an den Armen. Die Welt war im Umbruch. Nicht nur äußerlich prägte die Wanderung der Völker das Bild einer sich erneuernden Welt, auch innerlich waren die Menschen unterwegs, auf der Suche nach neuen Horizonten, die der Glaube und das Vertrauen auf Christus und seinen Weg vor ihnen ausbreitete.

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© Würzburger Katholisches Sonntagsblatt - Nr. 22 vom 1.6.2008, Seite 8

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