ZENTRUM FÜR AUGUSTINUS-FORSCHUNG

AN DER JULIUS-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT WÜRZBURG

Kirchenvater Augustinus und seine Zeit (Folge 5 – Schluss)
Die Überlieferung der Werke des hl. Augustinus

Augustinus hat ein immenses Werk hinterlassen: umfangreiche theologische und philosophische Schriften, Exegesen der Hl. Schrift, Predigten, Briefe und verschiedenes mehr. Auf diese Werke ist Papst Benedikt XVI. in seiner Katechese am 20. Februar näher eingegangen. Wenn wir heute eines seiner Werke in Händen haben, so hat es einen langen Weg hinter sich. In diesem Beitrag soll der Frage nachgegangen werden, wie die Werke aus der Antike zu uns gekommen sind.

Von Claudia Kock

Einen Buchautor stellen wir uns am Schreibtisch sitzend vor, mit einem Schreibgerät in der Hand oder heute vor dem Computer. In der Antike war es anders. Der Autor, und Augustinus war hier keine Ausnahme, schrieb nicht selbst, sondern diktierte die im Kopf formulierten Sätze einem Sekretär, der sie niederschrieb. Dieser bediente sich dazu meist der so genannten „Tironischen Noten“, einer Kurzschrift, die ein Sekretär Ciceros einst entwickelt hatte und die bis ins Mittelalter hinein verwendet wurde. Der Sekretär brachte den Text dann in Reinschrift und übergab ihn dem Autor zur Überarbeitung.

Stand die endgültige Fassung des Textes fest, so ging es an die Herstellung des Buches oder Codex. Es wurde mit pflanzlich gewonnener Tinte meist auf Pergament aus Kalbs- oder Schafhaut geschrieben. Die Herstellung eines solchen Codex war sehr kostspielig, aber Augustinus hatte das Glück, die Herstellung seiner Bücher einem wohlhabenden Freund, Romanianus, anvertrauen zu können.

Der fertige Codex kam dann in Augustins bischöfliches Archiv. Er wurde auf Nachfrage kopiert und an andere Bibliotheken oder auch an Privatpersonen gesandt. So zirkulierten schon zu Lebzeiten Augustins viele Kopien seiner Werke im ganzen Römischen Reich. Nach heutigem Wissensstand ist vermutlich nur eine dieser ganz frühen Handschriften erhalten. Sie wird in St. Petersburg aufbewahrt und enthält u. a. eine frühe Version des Werkes „De doctrina christiana“ (Die christliche Bildung), das Augustin selbst später noch einmal überarbeitete.

Aufgrund der hohen Kosten wurde manchmal nicht das ganze Werk kopiert, sondern man machte Auszüge oder schrieb Zusammenfassungen. Viele dieser „Florilegien“ bzw. „Epitomen“ antiker Schriften sind überliefert.

Augustins Werke wurden auch nach seinem Tod und das ganze Mittelalter hindurch immer wieder kopiert, vor allem in den Klöstern. Handschriften seiner Werke finden sich in ganz Europa und haben den Weg auch in andere Kontinente gefunden. Die ältesten Handschriften entstanden in Nordafrika. Nach dem Einfall der Vandalen verlagerte sich das Zentrum nach Italien und im 7. Jahrhundert unter den Merowingern nach Frankreich. Zur Zeit der Karolinger erlebte die Vervielfältigung antiker Handschriften eine Blütezeit, nicht zuletzt durch den Einfluss Karls des Großen, dessen Lieblingsbuch Augustins „Gottesstaat“ war. Die meisten der heute erhaltenen Handschriften mit Werken Augustins stammen aus der Zeit zwischen dem 9. und dem 15. Jahrhundert. Seit dem 10. Jahrhundert wurden viele von ihnen mit wunderbaren Miniaturen ausgeschmückt.

Gegen Ende des 15. Jahrhunderts endete durch die Erfindung des Buchdrucks die handschriftliche Tradition. Der „Gottesstaat“ wurde bereits 1467 als eines der ersten Bücher in Italien gedruckt. Zahlreiche Werke Augustins finden sich unter den so genannten Inkunabeln („Wiegendrucken“), den allerersten, vor 1501 gedruckten Büchern. In Basel wurde von 1505 bis 1517 die erste Gesamtausgabe der Werke Augustins gedruckt. Die zweite entstand wenige Jahre später durch Erasmus von Rotterdam, eine dritte wurde in Antwerpen hergestellt.

Diese ersten Druckausgaben basierten auf nur wenigen, oft nur einer einzigen Handschrift. Erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts begann man, Handschriften zu sammeln, miteinander zu vergleichen und Textabweichungen aufzulisten. Auf dieser Grundlage entstand zwischen 1697 und 1700 in der Benediktinerabtei St. Maur in Frankreich die sogenannte „Mauriner-Ausgabe“ der Werke Augustins. Sie wurde Mitte des 19. Jahrhunderts in Mignes „Patrologia Latina“, das große Sammelwerk der Schriften der Kirchenväter, aufgenommen. Aus philologischer Sicht ist sie heute überholt und wird gegenwärtig nach und nach ersetzt durch sogenannte „kritische“ Ausgaben der Werke Augustins in den Reihen „Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum“ (Wien) und „Corpus Christianorum“ (Turnhout). Diese berücksichtigen alle bekannten Handschriften und bieten neben dem Text auch einen wissenschaftlichen Apparat zur Textkritik.

Hin und wieder werden bisher unbekannte Handschriften entdeckt. Der letzte aufregende Fund wurde in diesem Jahr in Erfurt gemacht, wo man eine kleine unscheinbare Handschrift aus dem 12. Jahrhundert entdeckte, die sechs bisher unbekannte oder nur teilweise bekannte Predigten des Kirchenvaters enthält.

Längst haben die Kirchenväter ins digitale Zeitalter Einzug gehalten. Augustins Werke sind gegenwärtig auf drei elektronischen Datenbanken verfügbar: der Datenbank der „Patrologia Latina“, der „Cetedoc Library of Christian Latin Texts“ und dem „Corpus Augustinianum Gissense“.

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© Würzburger Katholisches Sonntagsblatt - Nr. 35 vom 31.8.2008, Seite 8

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